Meinung

Linkspartei: Die Stunde der Denunzianten

Ist es links, mit der verarmenden Bevölkerung gegen die Sanktionspolitik zu demonstrieren? Nicht nach Ansicht der Linken. Denn schließlich sind Gas- und Strommangel über uns gekommen wie ein himmlisches Verhängnis, und Solidarität ist vor allem "mit der Ukraine" zu üben.
Linkspartei: Die Stunde der DenunziantenQuelle: www.globallookpress.com © Markus Scholz

Von Dagmar Henn

Die Linke arbeitet immer konsequenter daran, sich als pro-NATO-Partei zu etablieren. Das zeigt sich nicht nur an der bekannten öffentlichen Auseinandersetzung, die gegen Sahra Wagenknecht geführt wird, obwohl diese immer brav die Formel vom "russischen Angriffskrieg" im Mund führt. Angriffe gegen alle Teile der Friedensbewegung sowie gegen Teilnehmer an Sozialprotesten, die sich den Verweis auf die Sanktionen nicht verkneifen, ziehen sich quer durch die Republik. Es erweckt den Eindruck, als wolle man die letzten Reste nicht NATO-konformer Mitglieder hinaussäubern, um dann desto besser im Gleichklang mit den Olivgrünen den Ostlandritter zu geben.

Stichwort Ritter: Die Junge Welt berichtete, die Hamburger Landessprecher Thomas Iwan und Sabine Ritter hätten "harte Konsequenzen" gefordert, weil Mitglieder ihrer Partei gemeinsam mit "Putin-Verstehern" demonstriert hätten und dabei die Schuld am Krieg in der Ukraine "primär den USA zugeschoben" worden sei. Sie fragten sich, ob Mitglieder toleriert werden könnten, die "die Verantwortung für diesen Krieg ständig relativieren und bereit sind, für diese Meinung gemeinsam mit Rechten und Querdenkern zu demonstrieren".

"Verschwörungsideologen und Rechte" könnten keine Bündnispartner sein, ebensowenig "Leute, die den Überfall Russlands auf die Ukraine entschuldigen oder relativieren oder gar russische Kriegspropaganda verbreiten".

Diese Sätze stammen aus dem Mund einer Landessprecherin, die sich auf dem letzten Hamburger Landesparteitag für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen hat. Ziel der Vorwürfe ist vor allem Andreas Grünwald, Urgestein der Hamburger Friedensbewegung, der Anmelder der Demonstration am 1. Oktober, die das Missfallen der Hamburger Landessprecher erregte. Vermutlich war schon die Hauptlosung "Frieden! Abrüstung! Kein Wirtschaftskrieg, der die Menschen in den Ruin treibt!" deutlich zu wenig konform für Iwan und Ritter; schließlich gilt im medialen Mainstream selbst die kausale Verknüpfung kalter Wohnungen mit den gegen Russland verhängten Sanktionen als "russische Desinformation".

"Sie haben nicht begriffen, dass der Widerstand gegen Krieg, soziale Ausplünderung und eine Sanktionspolitik, die nur unserer Bevölkerung schadet, zusammengehören", erwiderte Grünwald auf die Vorwürfe im Neuen Deutschland. Noch vor der Demonstration und der darauf bezogenen Empörung der beiden Landessprecher (die diese zuerst in der Hamburger Morgenpost kundtaten) schrieb Grünwald auf Facebook:

"Manchmal bin ich als Sozialist noch erschrocken, wenn ich so sehe, wie manche Linke inzwischen so ticken. […] Einige von denen sind inzwischen für Waffenlieferungen, andere für völkerrechtswidrige Sanktionspolitik durch imperialistische Mächte. Das halten sie dann tatsächlich für eine angemessene Antwort auf Kriege. Und geschieht ein Anschlag auf russische Pipelines, kann es nur Putin gewesen sein, weil den eigenen Imperialisten traut man so was nicht zu. Die hält man allen Ernstes für eine Verkörperung von 'unserer Demokratie'. Denn sonst könnte man mit denen ja auch nicht gemeinsam regieren."

Ritter hatte im Gespräch mit der Morgenpost gerade noch geäußert, man müsse abseits von Waffenlieferungen auch dafür sorgen, dass diese nicht eingesetzt würden – was eine völlig andere Aussage ist, als anstelle von Waffenlieferungen dafür zu sorgen. Iwan hatte aufgefordert, "nicht immer auf die NATO einzuhauen". Bezogen auf die Vorgeschichte des Ukraine-Konflikts, insbesondere das jahrelange Leid im Donbass durch den ukrainischen Beschuss, sind sie, wie solche Aussagen zeigen, völlig blank. Aber sie machen sich Sorgen, wenn Mitglieder der Partei "Die Basis" bei Demonstrationen mitlaufen; diese sei "rechtsoffen". Und nun scheint ein Ausschlussantrag gegen Grünwald geplant; immerhin ein anerkannter Friedensaktivist und Nachfahre Hamburger Widerstandskämpfer...

Aber nicht nur in der Hamburger Linken wird die Linie immer mehr auf NATO-Freundlichkeit gebürstet. Der Lichtenberger Bezirksbürgermeister Michael Grunst hat im August dafür gesorgt, dass ein Platz nach Odessa benannt wird; nicht, um die in Odessa bei einem faschistischen Pogrom umgekommenen Antifaschisten zu ehren, sondern weil Odessa "für den Kampf um die Freiheit der Ukraine und ein demokratisches und freies Europa" stehe.

Vermutlich in Gestalt des Rechten Sektors, der die als "prorussisch" eingeordnete Stadt 2014 mit wütendem Terror überzog, der sich nach dem Pogrom noch in der Verfolgung der Überlebenden fortsetzte. Grunst hätte, wie andere Mitglieder und Funktionäre der Berliner Linken, jahrelang Zeit gehabt, sich direkt bei Überlebenden zu informieren und vielleicht seine Wahrnehmung, wer in Odessa für Demokratie und Freiheit steht und wer nicht, geraderücken können, schließlich gab es in Berlin immer wieder Mahnwachen für den Pogrom; aber er zog es vor, entsprechende Kommentare mit Hinweisen auf das Massaker im Gewerkschaftshaus auf seinem Facebook-Konto zu löschen: "Offenbar meinen zahlreiche Putin Anhänger hier rum zu trollen. Diese Kommentare werden sofort gelöscht."

Anders reagierte er auf die Bemerkung einer gewissen Oleksandra Bienert, die sich bei ihm beschwerte, Odessa schreibe sich auf Ukrainisch nur mit einem S. "Dies hat direkt mit der russischen imperialistischen Vergangenheit zu tun, die nicht vergehen will. Bitte übernehmen Sie nicht mehr russische Namen der ukrainischen Städte." Die Stadt ist griechischen Ursprungs, ihre heutige Gestalt wurde aber von Katharina der Großen geprägt. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Hälfte der Bevölkerung russisch, ein Drittel jüdisch. Gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung waren Ukrainer. Das scherte Grunst allerdings ebenfalls nicht; gehorsam änderte er den Namen des Platzes auf "Odesa".

Auch der Berliner Landesvorstand ist penibel bemüht, sich so weit wie möglich von NATO-Gegnern abzugrenzen. In Berlin fand am Monatsersten ebenfalls eine Friedensdemonstration statt, zu der die Berliner Friedenskoordination (Friko) aufgerufen hatte. Wie in Hamburg handelt es sich um ein Bündnis, das schon seit Jahrzehnten besteht.

Im Aufruf zu dieser Demonstration wurden Verhandlungen und gegenseitige Sicherheitsgarantien zwischen Russland und der NATO gefordert, und es hieß darin: "Die Sanktionen gegen Russland, gepaart mit den Auswirkungen einer krisenhaften Weltwirtschaft, führen auch bei uns zu steigenden Lebenshaltungskosten."

Die Berliner Linkspartei hatte sich schon auf ihrem Landesparteitag Ende September bemüht, Protesten, die sich gegen die Sanktionen richten, möglichst nicht zu nahe zu kommen. "Die Brandmauer nach rechts muss hoch sein. Da gibt es null Gemeinsamkeiten", erklärte Sprecherin Katina Schubert damals gegenüber der Berliner Zeitung. Wie dieses "rechts" definiert wird, zeigte sich dann am Beifall für "Solidarität mit der Ukraine" oder für "Abscheu vor der 'Propaganda des russischen Aggressors'".

Der RBB titelte seinen Bericht über diesen Parteitag sogar mit "Die Wagenburg gegen Wagenknecht". Und die Partei beschäftigte sich mit allerlei Anträgen auf Trostpflästerchen, die ein wenig durch den kalten Winter helfen sollen, wie einem Energiegeld, aber gerade nicht mit den Sanktionen, die das Problem überhaupt erst geschaffen haben.

Als die Friko, wie seit der Gründung der Linken üblich, nachfragte, ob der Aufruf unterstützt werde, lautete die Antwort: "Das pauschale Ende der Sanktionen sowie die Zuschreibung als Aggressor in Richtung der Bundesregierung entspricht nicht der Haltung und Beschlusslage der LINKEN."

Das Flugblatt ist auf der Webseite für jeden einsehbar. Darin steht nur etwas von der "destruktiven Aufrüstungspolitik der Bundesregierung". Es steht noch nicht einmal darin, wie sehr mehrere Bundesregierungen durch ihre Weigerung, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, Verantwortung für die Entwicklung in der Ukraine tragen.

"Pauschales Ende der Sanktionen"? Ist die illegitime Verhängung von Sanktionen durch die EU, die völkerrechtlich einzig durch den UN-Sicherheitsrat zulässig sind, jetzt Politik der Linken? Sicher, das ist keine besondere Überraschung in einem Landesverband, dessen augenblicklich bekanntestes Mitglied, Sozialsenatorin Katja Kipping, schon einmal vor hochgestellten Bussen für Islamisten demonstriert.

Die Moderatorin der Berliner Friko war mit der Entscheidung des Landesvorstands nicht zufrieden. "Ich erwarte von einer sich 'links' nennenden Partei, dass sie die Interessen unserer Bevölkerung gegenüber der Regierung vertritt - diese notfalls auch erkämpft - nicht aber, dass sie tatenlos danebensteht und zulässt, wie eine verantwortungslose Regierung unsere Lebensbedingungen in Gefahr bringt, möglicherweise sie zerstört", schrieb sie in ihrer Erwiderung.

Wer es wagt, an Protesten gegen die Sanktionspolitik teilzunehmen, ohne alle, die nicht für die Ukraine frieren wollen, zuvor dahingehend zu überprüfen, ob er/sie/es auch Toiletten für Transgender befürwortet oder sich auch brav an die NATO-Erzählung zur Ukraine hält, gilt diesen Hohepriestern einer Scheinlinken als "rechtsoffen". Man möchte gar nicht mehr wissen, was diese "Linken" wirklich über Rosa Luxemburg denken, deren Namen sie nach wie vor für ihre Stiftung missbrauchen.

Von halbaußen wird inzwischen auch noch nachgeholfen. Leander Sukov, bis Februar noch, wie seine Lebensgefährtin, die ehemalige Bundestagsabgeordnete Simone Barrientos, Mitglied der Linken, aber dann zur SPD gewechselt, weil ihm seine alte Partei noch nicht ukrainefreundlich genug war, rühmt sich, eine Anzeige gegen Artur Leier, Mitglied der Linken in Hamburg, erstattet zu haben, weil dieser für Weltnetz.tv aus dem Donbass berichtete und es wagte, als Wahlbeobachter zu fungieren.

Das Pärchen Sukov/Barrientos, das dem in der Linken verbreiteten Spektrum der Antideutschen zuzuordnen ist, lässt damit erkennen, womit bei den Anhängern dieser Ideologie sonst noch zu rechnen ist. Es genügt nicht, dass auf legitimen sozialen Protest einer von ihrer Regierung verratenen Bevölkerung mit "linken" Gegendemonstrationen reagiert wird oder jene, die an der Überzeugung festhalten, links sei, die Interessen der besitzlosen Klassen zu vertreten, mit Ausschlussanträgen und Beschimpfungen überzogen werden. Nein, man macht sich noch gern zum Büttel einer Staatsmacht, die eifrig bemüht ist, jedes Stückchen wahrhaftiger Berichterstattung zu unterbinden.

Dieser "Linken" wird es nicht genug sein, die Augen vor den Ereignissen in Odessa 2014 und im Donbass in den Jahren danach fest zu verschließen oder Menschen, die gegen die Sanktionen demonstrieren, weil sie zu Recht um ihre Existenz fürchten, zu "Rechten" zu erklären. Sie wird sich in die Reihen der Denunzianten eingliedern, die als "Correctiv" und ähnliches schon die Benennung der ökonomischen Wirklichkeit zur "russischen Propaganda" erklären und begierig mithelfen, jene, die sie für "Propagandisten" halten, auf jede denkbare Weise zu verfolgen. So weit ging selbst das historische Vorbild, die Sozialdemokratie, erst nach 1918, als sie sich mit der äußersten Rechten, den Freikorps, verbündete, um die Revolution niederzuschlagen.

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