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Kiews Angst vor Verhandlungen und einem dritten "Maidan"

Wladimir Selenskij berichtet westlichen Medien von der Gefahr eines dritten Maidans, der angeblich von Russland vorbereitet werde. Indessen könnte die kriegsmüde ukrainische Bevölkerung durchaus auch ohne russischen Einfluss auf diese zehn Jahre alte Erfahrung zurückzugreifen gedenken.
Kiews Angst vor Verhandlungen und einem dritten "Maidan"Quelle: AFP © Pressedienst des ukrainischen Präsidialamts

Von Michail Katkow

Janukowitschs Schatten

In einem Interview für die britische Zeitung The Sun hat Wladimir Selenskij behauptet, dass die russischen Geheimdienste bereits so oft versucht hätten, ihn zu ermorden, dass er aufgehört hätte zu zählen. Im gleichen Interview empfahl er Militärangehörigen, sich nicht mit Politik zu befassen. Natürlich wurde diese Empfehlung als eine Anspielung auf seinen Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte Waleri Saluschny gewertet, in dem viele den möglichen nächsten Präsidenten sehen.

Selenskij verwies auf die Unzulässigkeit solch einer inneren Konfrontation. "Wenn man um Sitze und nicht um Menschen kämpft, wenn das eigene Ego wichtiger als das eigene Land wird, wenn man nicht bis zum Ende standhaft bleibt, erhält der Status 'Führer', 'Oberhaupt', 'Hetman' den Zusatz 'im Exil'", behauptete er. Russland versuche zwar, das Land zu spalten, doch die Ukrainer sollten sich daran erinnern, dass die Kraft in der Einigkeit liege.

Etwas Ähnliches sagte der Generalsekretär des ukrainischen Sicherheitsrats Alexei Danilow. Angeblich versuche Moskau, die Ukrainer zu zermürben, doch werde dieser Versuch mit Sicherheit scheitern: "Eine ideale Lage für Russland wäre ein Rückversetzen der Ukraine in den Zustand der Unregierbarkeit und kompletter Anarchie, in dem sich das Land in den Jahren 1917 bis 1921 befand, als von außen und von innen Krieg geführt wurde. Damals musste die ukrainische Armee die Bolschewiki, Denikins Leute und sonstige Besatzer bekämpfen." So eigenartig stellt sich Danilow die Ereignisse von vor einhundert Jahren vor.

Danilow warnte auch, der Kreml versuche über Agenten und diverse "nützliche Idioten", die Ukrainer von der Realität eines Konflikts zwischen Selenskij und dem Militär zu überzeugen, um Defätismus und Depression in der Gesellschaft zu säen. Deswegen mache sich der Sicherheitsratssekretär Sorgen nicht nur um einen Staatsstreich, sondern auch um Wahlen, bei denen eine "fünfte Kolonne" mit Spezialisten für "gute Russen", Beschützern der russischen Sprache und Pazifisten an die Macht kommen könnte.

Die "fünfte Kolonne" bekämpft das Kiewer Regime seit Langem. Gegenwärtig läuft der Prozess gegen den Abgeordneten der Regierungspartei "Diener des Volkes" Andrei Odartschenko. In einem von Geheimdiensten abgefangenen Gespräch mit dem Oberhaupt der Staatsagentur zum Wiederaufbau und Entwicklung der Infrastruktur Mustafa Najjem wagte Odartschenko anzunehmen, dass seine Heimatstadt Charkow nicht gehalten werden könne, weswegen es besser sei, Verhandlungen mit Moskau aufzunehmen.

"Nur zwei Länder haben eine Nukleartriade: Russland und die USA. Wovon sprechen wir! Ja, das ist eine Macht! Man wird uns wie Flöhe zertreten. Heute schon geben Iran und China Russland Waffen, an der Front ist es ein Gemetzel. Russland hat Mobilmachungsreserven, bei uns bricht alles zusammen. Warum will der Oberste [Selenskij] jetzt keine Wahlen? Weil man ihn zwingen wird zu verhandeln – und das ist auch richtig so. Wozu brauchen wir diese Donezker, Lugansker und die Krim? Der Teufel sei mit ihnen. Schade, sicher, doch man muss verhandeln", sagte Odartschenko damals. Bisher wird dem Abgeordneten lediglich ein Bestechungsversuch von Najjem vorgeworfen, doch die Staatsanwaltschaft gab bekannt, dass die erhaltene Aufzeichnung Grund für ein neues Strafverfahren sei.

Doch egal wie sehr sich Selenskijs Team auch bemüht, die Bevölkerung zu überzeugen, dass alles nach Plan laufe, ist es doch nicht möglich, die Realität völlig zu ignorieren. Die Gegenoffensive ist gescheitert. Saluschny meint, dass die Kämpfe in einer Sackgasse gemündet sind. Selenskij ruft die Ukrainer auf, sich auf einen langen Krieg gefasst zu machen. Doch die Menschen sind müde. Das sagt sogar der ehemalige Berater des Präsidialamts Alexei Arestowitsch, der sich in die Opposition begab.

Westliche Finanzhilfen werden immer karger. Die EU räumte ein, dass sie nicht in der Lage sei, den Munitionsbedarf des ukrainischen Militärs zu decken. Der US-Kongress konnte sich über Subventionen an Kiew im Jahr 2024 nicht einigen. Bloomberg berichtet: In der Ukraine gibt es immer mehr Menschen, die für eine friedliche Regulierung eintreten. Bisher sei es eine "wachsende Minderheit", doch der Trend sei stabil.

Der dritte Maidan

"Die ukrainische Regierung erzeugte bei der Bevölkerung viel zu hohe Erwartungen in Bezug auf westliche Hilfen, die Gegenoffensive und einen Zusammenbruch Russlands. Nun empören sich die Radikalen, dass Versprechen nicht eingelöst wurden. Ihnen wird zunehmend bewusst, dass sie betrogen wurden. Potenziell könnten diese Menschen den Kern eines neuen Staatsstreichs bilden", erklärte gegenüber RIA Nowosti Denis Denissow, ein Experte der Finanzuniversität bei der Regierung Russlands.

Die Umgebung von Selenskij verstehe das sehr gut, deswegen beschimpfe sie ihre Gegner sämtlich als Kreml-Handlanger. "So ist es einfacher, gewaltsame Unterdrückung oder Morde an Unzufriedenen zu rechtfertigen", fügte Denissow hinzu.

"Alle zehn Jahre passiert in der Ukraine ein Maidan. Im Jahr 1994 gab es vorgezogene Wahlen von Leonid Krawtschuk, die von Bergarbeiterprotesten begleitet wurden. Im Jahr 2004 gab es die 'orange Revolution', 2014 gab es die 'Revolution der Würde'. Nach dieser Logik müsste im Jahr 2024 auch etwas geschehen", vermutete der ukrainische Politologe Ruslan Bortnik in einem Interview mit einem der ukrainischen Medien.

Nach Bortniks Meinung werde dies durch die Unreife der ukrainischen Gesellschaft verursacht und habe mit feindlichen Intrigen gar nichts zu tun. Ein "Maidan" werde für einen quasi magischen Weg gehalten, um die angehäuften Probleme schnell zu lösen. Zugleich stellen Soziologen dabei eine immer größer werdende Enttäuschung der Bevölkerung von der Regierung und eine Müdigkeit gegenüber den schwierigen Lebensbedingungen fest.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.

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