Russland

FSB veröffentlicht Archivdokumente über Massenmorde an sowjetischen Kriegsgefangenen

Mahlzeiten aus verendeten Pferden, Schlaf im Stehen, willkürliche Erschießungen und aufgehetzte Hunde zur "Aufrechterhaltung der Ordnung" – die vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB veröffentlichten Archivakten geben grausame Einblicke in die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener durch die Wehrmacht.
FSB veröffentlicht Archivdokumente über Massenmorde an sowjetischen KriegsgefangenenQuelle: Sputnik © Alexandr Fridljandski

Am 19. April 2023 jährt sich zum 80. Mal die Herausgabe des Dekrets Nr. 39 des Obersten Sowjets der UdSSR. Das auf dem Höhepunkt des Großen Vaterländischen Krieges erlassene Dokument stellte Morde und Misshandlungen an der sowjetischen Zivilbevölkerung und kriegsgefangenen Rotarmisten durch Militärangehörige des Dritten Reiches und seiner Verbündeten sowie durch einheimische Kollaborateure unter Todesstrafe oder langjährige Haftstrafen. Die Ermittlung und Verfolgung entsprechender Verbrechen wurde zu einer der Aufgaben der ebenfalls am 19. April 1943 gegründeten Spionageabwehrbehörde Smersch.

Anlässlich des bevorstehenden Jubiläums des Erlasses Nr. 39 machte Russlands Inlandsgeheimdienst FSB mehrere Akten aus russischen Archiven der Öffentlichkeit zugänglich. Die Dokumente geben Einblick in die praktische Umsetzung des Dekrets und decken die unmenschlichen Verbrechen der Wehrmacht an sowjetischen Zivilisten und Kriegsgefangenen auf.

Ein Teil der veröffentlichten Unterlagen betrifft das unter der Abkürzung Dulag-205 bekannte Durchgangslager für kriegsgefangene Rotarmisten. Das Lager, das mehrmals seinen Standort wechselte, befand sich zuletzt in der Nähe des Dorfs Alexejewka bei Stalingrad und wurde im Januar 1943 von der Roten Armee befreit. Smersch-Chef Wiktor Abakumow berichtete darüber dem stellvertretenden Leiter des sowjetischen Verteidigungskomitees, Wjatscheslaw Molotow, am 2. September 1943:

"Auf dem Gebiet des Lagers und in seiner Nähe wurden Tausende Leichen von kriegsgefangenen Rotarmisten und Kommandeuren gefunden, die an Unterernährung und Hunger starben, sowie einige Hundert malträtierte, ausgehungerte und äußerst erschöpfte ehemalige Angehörige der Roten Armee befreit."

Abakumow verwies in seinem Bericht unter Berufung auf gefangengenommene deutsche Offiziere, dass das Oberkommando der Wehrmacht eine Vernichtung sowjetischer Kriegsgefangener als "Untermenschen" direkt anordnete. Hierzu zitierte er unter anderem Wilhelm Langheld, NSDAP-Mitglied und gefangen genommener Abwehroffizier:

"In der deutschen Armee gab es in Bezug auf die Russen eine Überzeugung, die für uns Gesetz war: Die Russen seien ein minderwertiges Volk, das keine Kultur habe. … Wir wussten auch, dass es viele Russen gibt und möglichst viele von ihnen vernichtet werden müssen."

Wie diese Vernichtungspolitik im Einzelnen umgesetzt wurde, zeigt unter anderem das Verhörprotokoll des ehemaligen Kommandanten von Dulag-205, Oberst Rudolf Kerpert, vom 23. Juni 1943. Seinen Angaben zufolge bestand das Lager aus insgesamt acht Erdhütten für je 150 Personen und war damit für maximal 1.200 Gefangene ausgelegt. Es gab keine Pritschen oder sonstige Liegeplätze, die Gefangenen sollten auf dem Erdboden schlafen. Tatsächlich seien bis Dezember 1942 in dem Lager mindestens 3.400 gefangene Rotarmisten untergebracht worden. Daneben hätten sich im Lager bis zu 300 zusätzliche Personen befunden, darunter Frauen, Zivilisten im wehrpflichtigen Alter und "Freiwillige", die zur Arbeit nach Deutschland geschickt werden sollten. Kerpert räumte jedoch ein, dass diese Zahlen ungenau seien, da keine Namenslisten geführt wurden.

Konstantin Krupatschenko, der als Angehöriger der 171. Schützendivision der Roten Armee im Frühherbst 1942 in Kriegsgefangenschaft geriet und fünf Monate im Dulag-205 verbrachte, schätzte die Anzahl der Insassen noch höher, auf insgesamt 5.000 Personen. Über das Leben in einer überfüllten Erdhütte erzählte er am 24. Juli 1943:

"Die Gefangenen schliefen in den Erdhütten ohne jegliche Unterlage, es war sehr gedrängt und eng. Die Gefangenen konnten sich nie ausruhen, da sie im Stehen oder Sitzen schlafen mussten; der Platz reichte nicht aus. In den Erdhütten gab es viele Läuse. … Ein Bad gab es nicht, während des ganzen fünfmonatigen Aufenthalts im Lager konnte ich mich kein einziges Mal waschen."

Der Adjutant des Lagerkommandanten, Oberleutnant und NSDAP-Mitglied Otto Meder, schilderte bei seinem Verhör am 27. August 1943 zudem, dass selbst in einer solchen Enge nicht alle Insassen Platz in den Erdhütten fanden und gezwungen waren, den Winter 1942/43 unter freiem Himmel zu verbringen.

Nicht besser waren die Zustände bei der Verpflegung der Gefangenen. Laut Kerpert war die Versorgung des Lagers mit Lebensmitteln bereits vor der Einkesselung der 6. Armee bei Stalingrad unzureichend und endete nach dem 5. Dezember 1942 ganz. Seitdem bestand die Ration der Insassen aus etwa einem Liter Brühe pro Tag, die aus verendeten Pferden gekocht wurde. Krupatschenko wurde Zeuge mehrerer Fälle von Kannibalismus. Meder vermutete indessen bei seinem Verhör, dass trotz der Einkesselung eine Reduzierung der Rationen der deutschen Soldaten "um ein bis zwei Gramm" eine Verpflegung der russischen Gefangenen möglich gemacht hätte.

Die unmenschlichen Bedingungen forderten eine massive Anzahl Todesopfer, in allen Verhörprotokollen erscheinen Aussagen von Dutzenden Toten pro Tag. Aufgrund der nicht erfolgten Registrierung der Gefangenen lassen sich die Opferzahlen kaum präzisieren. So sprach Kerpert von etwa 2.000 Hungertoten, Meder von etwa 3.000, während Krupatschenko angab, dass von den ursprünglich 5.000 Insassen zum Zeitpunkt der Befreiung des Lagers nur noch 800 am Leben waren.

Um die "Ordnung" im Lager aufrechtzuerhalten und Gedränge während der Essensausgabe zu verhindern, wurden Hunde auf die Gefangenen gehetzt, was Kerpert und Meder bestätigten. Der ehemalige Insasse Alexejew beschrieb solche Fälle:

"Das deutsche Kommando hetzte die Kriegsgefangenen mit Schäferhunden. Die Hunde warfen die erschöpften Gefangenen zu Boden und zerrten sie über den Schnee, während die Deutschen dastanden und lachten."

Alle Angeklagten und Zeugen gaben außerdem übereinstimmend an, dass die Gefangenen zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Diejenigen, die wegen Erschöpfung nicht mehr arbeiten konnten, wurden willkürlich zusammengeschlagen oder erschossen. Meder erklärte bei seinem Verhör:

"Von Beruf bin ich Jurist und verstehe gut, dass es illegale Erschießungen waren, einfacher gesagt – Morde. Doch ich habe bereits gesagt, dass Kriegsgefangene in deutschen Lagern nicht so wie in anderen Ländern behandelt werden."

Auch andere Archivakten zeigen, dass die beschriebenen Grausamkeiten keine Einzelfälle darstellten. So berichtete der Abwehroffizier Langheld bei seinem Verhör von ähnlichen Zuständen in Gefangenenlagern bei Kiew, Charkow, Poltawa und Rossosch. Bemerkenswerterweise gaben die Verwaltungsangehörigen von Dulag-205 an, dass sie während ihrer Ausbildung mit den Bestimmungen der Genfer Konvention vertraut gemacht worden waren.

Die sowjetische Militärjustiz befand die Lagerverwaltung von Dulag-205 für schuldig. In dem vom FSB veröffentlichten Urteil des Tribunals der 3. Baltischen Front hieß es dazu:

"Die verbrecherischen Taten aller Angeklagten haben in ihrer Gesamtheit unmenschliche Bedingungen im Lager geschaffen, in deren Folge über 3.000 sowjetische Kriegsgefangene an Hunger, körperlicher Gewalt und durch Erschießungen starben."

Am 10. Oktober 1944 wurden der Kommandant des Dulags-205, Oberst Rudolf Kempert, seine Stellvertreter Hauptmann Karl Frister und Hauptmann Fritz Müsentin, der Adjutand des Lagerkommandanten, Oberleutnant Otto Meder, und der Leiter der Arbeitsverteilungsgruppe des Lagers, Hauptmann Kurt Wohlfahrt, sowie der Leiter der Baugruppe des Lagers, Hauptmann Richard Seydlitz, zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 13. Oktober 1944 vollstreckt.

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