Meinung

"Krieg ist keine Sache der Alten": Ukraine mobilisiert verstärkt ältere Menschen an die Front

Die langanhaltenden Kämpfe zwischen der Ukraine und Russland resultieren in erheblichen Personalverlusten der ukrainischen Armee. Der Mangel an jungen und gesunden Rekruten beeinträchtigt nicht nur die Kampfkraft, sondern führt auch zu einer spürbaren Demoralisierung und schmälert die Erfolgsaussichten im Konflikt.
"Krieg ist keine Sache der Alten": Ukraine mobilisiert verstärkt ältere Menschen an die FrontQuelle: Legion-media.ru © Andriy Andriyenko / SOPA Images/

Von Alex Männer

Die seit fast zwei Jahren anhaltenden Kämpfe zwischen der Ukraine und Russland führen zwangsläufig dazu, dass die ukrainische Armee zunehmend ausblutet. Denn inzwischen sind nicht nur die vor dem Krieg angesammelten Kräfte größtenteils verbraucht, sondern auch diejenigen Kampfverbände, die mit Mühe unter Beteiligung des Westens aufgestellt wurden. Nach Schätzungen sollen bislang mehr als 500.000 ukrainische Soldaten getötet oder verletzt worden sein.

Große Personalverluste erlitten diese Streitkräfte vor allem im Zuge der sogenannten Gegenoffensive im Sommer und Herbst. Insbesondere die Verluste an jungen und erfahrenen Männern wiegen schwer. Wie viele von ihnen seit Kriegsbeginn bereits umgekommen sind, ist unklar. Man kann aber so viel sagen, dass diese Verluste bereits zu einem schwerwiegenden Problem der ukrainischen Armee geführt haben: Allem Anschein nach gibt es in der Ukraine heute kaum noch junge und gesunde Männer, die man einberufen kann.

Der Mangel an Personal hat zur Folge, dass die Armee nun sogar deutlich ältere Menschen einzieht. Dafür hatte die Regierung in diesem Jahr bestimmte Altersbeschränkungen für die Einberufung aufgehoben – mobilisiert werden seitdem Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren. Nicht ausgenommen davon sind auch viele Frauen, die im Bereich Medizin und Krankenhauswesen beschäftigt sind und seit Langem als wehrdienstpflichtig gelten.

Nach Angaben des Magazins Business Insider sind die ukrainischen Soldaten im Durchschnitt mittlerweile deutlich älter als noch am Anfang des Konflikts. Demnach beträgt das Durchschnittsalter 43 Jahre, 2022 lag es noch bei etwa 30 Jahren. Insofern fehlt es der ukrainischen Armee heute nicht nur am erfahrenen und qualifizierten Personal, sondern auch an jungen (und gesunden) Rekruten, die die Entbehrungen des Krieges besser ertragen als die "alten Männer".

So beklagen ukrainische Offiziere bereits etwa den schlechten körperlichen Zustand der 50-jährigen Rekruten. Diese hätten eine unzureichende körperliche Fitness sowie chronische Krankheiten, was sich auf dem Schlachtfeld bemerkbar mache.

Dies wirkt sich negativ sowohl auf die Kampfkraft als auch auf die Moral der Truppe aus. Grundsätzlich ist hervorzuheben, dass der Kampfgeist der Ukrainer unlängst sinkt, und das aus mehreren Gründen, wie US-Experten vom Military Watch Magazine anführen: Da wären die gescheiterte Sommeroffensive, der Mangel an Ausrüstung und Munition, enorme Verluste oder die Unfähigkeit, den Verlauf des Konflikts umzukehren.

Oft lassen Experten aber einen Faktor aus, der im Ukraine-Krieg inzwischen eine zentrale Rolle spielt: Der Soldat selbst und der Grad seiner Motivation und physischen Möglichkeiten, eventuell bis zum Ende zu gehen. Dass sich die deutlich älteren Rekruten nicht gerade durch eine hohe Kampffähigkeit und Moral auszeichnen, ist allgemein bekannt. Dementsprechend sagt man in der Ukraine (sowie in Russland) im Volksmund auch: "Der Krieg ist eine Sache der Jungen." Auch, weil darüber schon das sowjetische Rock- und Jugendidol Wiktor Zoi während der Zeit der Perestroika und des Afghanistan-Krieges in einem seiner bekanntesten Lieder sang.

Für Kiew jedenfalls könnte selbst die Altersgrenze von 60 Jahren künftig zu niedrig ausfallen. Diesbezüglich hat der Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, Sergei Naryschkin, laut der Agentur TASS vor Kurzem mitgeteilt, dass die Ukraine unter dem massiven Druck des Westens unter anderem das Wehrpflichtalter auf 70 Jahre erhöhen könnte. Ihm zufolge zieht die ukrainische Führung es in Betracht, das Einberufungsalter für die Kampfeinheiten von 60 auf 65 Jahre und für die Kommandostruktur von 65 auf 70 Jahre anzuheben. Ein entsprechendes Gesetzesvorhaben soll im Parlament bereits eingereicht worden sein.

Aber das ist noch nicht alles: "Die Streitkräfte der Ukraine bilden bereits neue Abteilungen von Kämpfern, die älter als 40 Jahre sind, und sie haben damit begonnen, Männer einzuziehen, die älter als 50 Jahre sind", so der Geheimdienstchef.

Es bleibt zu konstatieren, dass der Zustand der ukrainischen Streitkräfte derzeit keine guten Aussichten für einen schnellen und entscheidenden Sieg der Ukraine über Russland liefert. Stattdessen verstärken die Erschöpfung und die anhaltenden Verluste der Armee die Enttäuschung der Ukrainer über den Kriegsverlauf. Die daraus resultierende und momentan deutlich erkennbare Demoralisierung im Land könnte aber durchaus zur Erkenntnis führen, dass es längst an der Zeit ist, über eine Waffenruhe und fundamentale Verhandlungen nachzudenken.

Mehr zum Thema - Selenskijs Personalproblem: Durchschnittsalter rekrutierter Soldaten liegt bei 40 Plus

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.