Meinung

Naher Osten: Das Mit- und Gegeneinander zwischen Israel und seinen Nachbarn

Während sich die Lage an der palästinensisch-israelischen Front im Ritual der Gewalt verhärtet, entwickelt sich andernorts ein widersprüchliches Miteinander. Letzteres ermöglicht auch die Unterhaltungsindustrie in Israel.
Naher Osten: Das Mit- und Gegeneinander zwischen Israel und seinen NachbarnQuelle: AFP © JACK GUEZ

Von Dr. Karin Kneissl 

Die israelische Netflix Serie "Fauda" (zu Deutsch: Chaos, Durcheinander, etc.) ist seit dem Start der neuen Staffel die Nummer Eins im Libanon. Egal, mit wem ich hier im Dorf im Norden des Landes auch spreche, jeder hat auf die vierte Staffel gewartet und alle wollten wissen, wie es mit Doron, dem Israeli im Sonderkommando weitergeht.

Diese Serie ist sehenswert, wie immer man zum israelisch-palästinensischen Dilemma steht. Man erfährt einiges über Sicherheitstechnologie. Spionage-Software im Stile von Pegasus kommt bereits auf den iPhones in der ersten Staffel zum Einsatz. Dass auch das Telefon des französischen Präsidenten, Emmanuel Macron, davon betroffen war, sollte niemanden verwundern. Pegasus lässt sich so leicht installieren.

In der neuen aktuellen Staffel des Regisseurs Assaf Bernstein steht die schiitische Hisbollah und damit der Libanon im Zentrum. Was ein Grund sein mag, warum die Serie im Libanon derzeit so populär ist. Der von Krisen und Kriegen gebeutelte Libanon kommt dabei gut weg, die Aufnahmen zeigen ein sauberes Land ohne Plastikmüll und kranke Straßenhunde. Die Straße Beirut-Damaskus, wo es zu einem der Gefechte kommt, wirkt adrett wie eine deutsche Autobahn. Die Hisbollah-Milizionäre wirken durch die Kameralinse fast wie ebenbürtige Kombattanten, es ist nicht das übliche Schwarz-Weiß-Zeichnen. Alle sind Täter, alle sind Opfer, alle können zu Verrätern werden. Die Israelis sind nicht die Übermenschen, ebenso wenig sind die Palästinenser oder Libanesen die Minderen. Nicht umsonst wird die Serie in Israel kontrovers betrachtet, weil sie all diese Grautöne zulässt. Etwas, das im weiten Westen verschwunden ist: Hier übt man sich nurmehr in archaischen "Wir gegen den Rest der Welt"-Kriegs- und Hasstiraden.

Mich fasziniert, dass es im Jahre 2023 allen Spannungen zum Trotz möglich ist, dass hunderttausende arabische Zuschauer eine israelische Filmproduktion mit Spannung verfolgen und hebräische Floskeln aufschnappen. Nun ist der seit 1948 andauernde Konflikt zwischen Israel und dem Libanon und vielen anderen arabischen Staaten nicht vergleichbar mit dem, was am 24. Februar 2022 zwischen der EU und Russland begann.

Aber gerade deswegen erscheint es umso bizarrer, wie die EU seit bald einem Jahr mit allem Russischen umgeht. Nachrichtenseiten, wie jene von RT werden blockiert, Konten gesperrt, Firmenvermögen und Privathäuser beschlagnahmt. Es wird zwar einiges an Völkerrecht im Nahen Osten gebrochen. Aber so schlimm, wie die Lage nunmehr in Europa ist, ist sie in der israelisch-arabischen Auseinandersetzung nicht.

Im Gegenteil, der neue alte Premier Benjamin Netanjahu will dort anknüpfen, wo er vor dem Ende seines letzten Mandats aufhörte. Nämlich nach dem Start diplomatischer Beziehungen zu einigen arabischen Staaten im Persischen Golf, nun auch dem wahhabitischen Königreich Saudi-Arabien neue Avancen zu machen. Doch das Haus Saud, das vor rund 100 Jahren den Haschemiten, den eigentlichen Scherifen (Wächtern) der heiligen Stätten von Mekka und Medina, dieses hohe Amt und auch das Land abjagte, hat neuerlich klargemacht: Eine Normalisierung mit Israel könne nur nach der Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates erfolgen. Pragmatischer, weil auch viel weniger bedeutend, zeigten sich viele der kleinen Petromonarchien, die jetzt mit Israel diplomatische Beziehungen unterhalten. Das Dokument hierfür sind die Abraham-Abkommen, welche die Regierung Donald Trump noch kurz vor Schluss vermittelte.

Am israelischen Außenministerium vorbei, ließ er Jahre lang den damaligen Mossad-Chef Yossi Cohen die Kontakte zu arabischen Golfmonarchien erstellen. Zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten bestehen besonders enge Beziehungen. Zentral dabei ist die Sicherheitstechnologie, also das wesentliche Thema der Serie Fauda. Das Durcheinander erzeugt der sogenannte "menschliche Faktor".

Rund um den Serienhelden Doron, der so wie viele Film-Protagonisten unserer Zeit wenig strahlt und an der Kippe zur Selbstvernichtung steht, steht ein Team von Arabisch sprechenden israelischen Agenten, die Kollaborateure anwerben und direkt in den palästinensischen Gebieten im Untergrund operieren. Da hierbei oft genug etwas schiefgeht, kommt es zum Chaos.

Die Frage bleibt, wie kann in diesem tief sitzenden und über Generationen weiter gegebenen Misstrauen so etwas wie ein gewaltfreies Nebeneinander entstehen? Das Miteinander wäre, nach den Sternen zu greifen. Die Antworten liefern Bibliotheken an Büchern und lange Listen an Vermittlern.

Vielleicht ist die Frage aber auch relativ einfach zu beantworten. Ich verweise in diesem Zusammenhang gerne auf die von London im Sommer 1937 eingesetzte Kommission unter Lord Peel. Im Abschlussbericht steht klar und knapp: Einstellung aller Feindseligkeiten und des Siedlungsbaus. Seither hat sich an dieser Konstante wenig geändert, die Resolutionen und Berichte sind nur um vieles länger geworden.

Der Kern ist und bleibt die Palästinafrage, welche sich nicht in Luft auflöst und auch nicht zugunsten großer Handelsvolumina das Nachsehen haben wird. 

Dass das Haus Saud daher klar von einer Normalisierung der Beziehungen zu Israel Abstand nimmt, zeugt von Realismus, der auf israelischer Seite offenbar fehlt.

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