Meinung

General der US-Marines zur Ukraine: "Wir haben den Schauplatz vorbereitet"

Stück für Stück, Bröckchen für Bröckchen wird die Wahrheit ausgesprochen – ganz so, als unterläge der Westen einem Geständniszwang. Jüngster Beitrag zur Klärung der Vorgeschichte des aktuellen Ukraine-Konflikts ist ein Interview mit einem Generalleutnant der US-Marines.
General der US-Marines zur Ukraine: "Wir haben den Schauplatz vorbereitet"© Günter Rehorst / Bemalung der Figuren: Jochen und Luitpold Wening, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

Von Dagmar Henn

Die Financial Times selbst nennt es einen "ungewöhnlich offenen Vergleich zwischen dem Krieg in der Ukraine und einem möglichen Konflikt mit China", was der Generalleutnant James Bierman, Kommandeur der III Marine Expeditionary Force sowie der US-Marines in Japan, in seinem Interview sagte. Gleichzeitig ist ein Teil seiner Äußerungen jenes Puzzleteil, das noch fehlte, um die Vorbereitungen des Westens für einen Krieg in der Ukraine zu belegen.

"Wie haben wir den Grad des Erfolgs erreicht, den wir in der Ukraine erreicht haben? Einen großen Teil davon, weil wir nach der russischen Aggression 2014 und 2015 ernsthaft daran gingen, den künftigen Konflikt vorzubereiten: Ausbildung für die Ukrainer, Vorbereitung von Nachschublagern, die Identifizierung der Orte, von denen aus wir Nachschub sichern und Operationen aufrechterhalten könnten. Wir nennen das 'den Schauplatz vorbereiten'. Und wir bereiten den Schauplatz in Japan vor, auf den Philippinen, an anderen Orten."

"Schauplatz", auf Englisch "Theater", ist ein Euphemismus; in Deutsch müsste man ehrlicherweise "Kriegsschauplatz" sagen, das ist gewissermaßen die Großausgabe von Schlachtfeld. Was Bierman beschreibt, ist die unverblümte Kriegsvorbereitung, der nur noch der letzte Schritt fehlt – der Transport der Truppen an den Ort der Handlung.

Bezogen auf den möglichen künftigen "Schauplatz Taiwan" schreibt die Financial Times von der Lagerung von Waffen und anderem Nachschub an fünf weiteren Standorten auf den Philippinen; zusätzlich zu den fünf, die die USA dort bereits haben. Ähnliche Schritte werden rund um China unternommen.

Aufschlussreich ist dann seine Äußerung über den imaginierten Ablauf: "Man gewinnt einen Hebelpunkt, eine Operationsbasis, die einem in verschiedensten Einsatzplänen einen enormen Vorsprung verschafft. Während wir die Angriffsposition gegen den chinesischen Gegner einnehmen, dem die Startpistole gehört und der die Fähigkeit hat, möglicherweise die Feindseligkeiten einzuleiten ... können wir die entscheidenden Gebiete identifizieren, die gehalten, gesichert, verteidigt und genutzt werden müssen."

Wonach klingt das? Nach einer vorbereiteten Falle, in die man den Gegner, den man unterlegen glaubt, nur noch locken oder hineindrängen muss. Das ist eine Strategie, die auf der einen Seite militärische Vorbereitungen bis knapp unterhalb des eigenen offenen Angriffs trifft, und auf der anderen Seite die Politik nutzt, um eine Situation zu schaffen, die dem Gegenüber gar keine andere Option mehr lässt, als die gestellte Falle auszulösen.

Bierman setzt diese Arbeiten, mit denen er offenkundig gerade in Ostasien befasst ist, gleich mit dem Verhalten der USA in der Ukraine. Und er gesteht offen ein, dass spätestens seit 2015 die Ukraine auf einen Krieg gegen Russland vorbereitet wurde.

Das ist das bisher offenste Eingeständnis der wirklich Verantwortlichen für diesen Konflikt. Denn abgesehen davon, dass 2014/15 ein von der Kiewer Putschregierung – ohne Not übrigens – ausgelöster Bürgerkrieg begann, vor dem sich lediglich die Bevölkerung der Krim gerade noch durch die Wiedervereinigung mit Russland retten konnte, kamen damals auch diese in Kiew und im Westen ungeliebten Minsker Vereinbarungen zustande. Und auch wenn die Vereinigten Staaten, in deren Diensten Bierman steht, im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich auf keine Art und Weise an diesen Vereinbarungen selbst beteiligt waren, so wurden sie doch durch ihre Verabschiedung im UN-Sicherheitsrat zu gültigem Völkerrecht, an das sich auch die USA hätten gebunden fühlen müssen.

Selbstverständlich weiß in Wirklichkeit jeder, dass die USA wie der übrige Westen am Völkerrecht stets nur dann und nur soweit interessiert sind, wenn es ihrer Seite nützt. Aber bei der Betrachtung, wer welche Verantwortung für die ukrainische Entwicklung trägt, ist auch das Völkerrecht hier kein völlig irrelevanter Punkt.

Während also die deutsche Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Ex-Präsident Francois Hollande offen eingestanden haben, dass sie die Minsker Vereinbarungen nur nützlich fanden, um der Ukraine Zeit für die Aufrüstung zu verschaffen, gesteht dieser US-General nun, dass die Ukraine von den USA als Kriegsschauplatz vorbereitet worden sei, einschließlich der Anlage von Munitions- und Versorgungslagern, der Planung von Nachschubwegen etc. Wohlgemerkt, das alles in einem fremden Land, mit dem noch nicht einmal irgendeine formelle Form eines Bündnisses besteht.

Der eine oder der andere Teil für sich genommen, also die Geständnisse von Merkel und Hollande auf der einen und die "Vorbereitung des Schauplatzes" auf der anderen Seite, würden noch keinen Akt der Aggression ergeben. Allerdings waren die Minsker Vereinbarungen ein tatsächlich durchführbarer Ablaufplan, um den ukrainischen Bürgerkrieg zu befrieden. Und wollte man eine ideale Friedensversion erdenken, so würde sie in den Kernpunkten wohl bis heute damit übereinstimmen. Denn das wären Maßnahmen, die der sich bedroht fühlenden und auch real bedrohten Gruppe, nämlich den Bewohnern des Donbass, die nötige Sicherheit geben würde, wie etwa eine Autonomieregelung und eine Amnestie im Austausch für ein Ende des bewaffneten Konflikts. Diese Vereinbarungen hätten, wären sie jemals umgesetzt worden, Donezk und Lugansk in der Ukraine gehalten und die Grundlagen dafür geschaffen, dass mit der Zeit ein normales, friedliches Zusammenleben in diesem Land wieder möglich geworden wäre.

Die Regierungen in Kiew bestanden aber all die Jahre auf der absoluten Unterwerfung der Bewohner des Donbass. Diese Forderung war nicht nur schon allein deswegen obsolet, weil sie bereits daran gescheitert waren, sie gewaltsam durchzusetzen; sondern es war zugleich eine Forderung, die jeder friedlichen Lösung im Weg stand und steht. Es wäre die politische Aufgabe gewesen – vorrangig, aber nicht allein nur der Garantiemächte Frankreich und Deutschland –, die Regierenden in Kiew auf eine realistischere und zugleich friedlichere Position zu drängen. Dies geschah von westlicher Seite nicht, und es wurde inzwischen offen eingestanden, dass es nicht einmal versucht wurde.

Bierman erklärt nun rundheraus, die USA hätten die Zeit "genutzt", um die Ukraine als Kriegsschauplatz vorzubereiten. Wäre die politische Haltung eine andere gewesen, hätte es also ein politisches Einwirken im Sinne der Minsker Vereinbarungen gegeben, so hätte auch das noch nicht notwendigerweise einen aggressiven Charakter. Aber wie soll man das Ganze deuten, wenn auf der einen Seite Friedensbereitschaft vorgetäuscht wird, aber die politisch aggressive Haltung der Kiewer Regierungen zugleich bestärkt wird, und auf der anderen Seite und insgeheim aktive Vorbereitungen auf einen Krieg stattfinden?

Es ist die Formulierung mit der Startpistole beim Gegner, die das Sahnehäubchen auf der ganzen Geschichte darstellt. Denn das Verhalten der westlichen Staaten bezogen auf Taiwan gleicht tatsächlich einer Wiederholung des Ablaufs in der Ukraine. Angesichts der Größenverhältnisse zwischen der Volksrepublik und der abtrünnigen Inselrepublik ist es noch etwas wahnhafter. Schließlich hat die Insel Taiwan 23 Millionen Einwohner, Festlandchina aber 1,4 Milliarden. Aktuell hat die Volksrepublik China ungefähr so viele Soldaten unter Waffen, wie Taipeh Einwohner hat.

Die Rechtfertigung solcher materiell irrwitzigen Schachzüge liegt immer in den vermeintlichen "Werten". Dabei lässt sich schnell erkennen – selbst wenn man die Geschichte glauben will, die Ukraine respektive Taiwan seien Horte der Demokratie –, dass die vernünftige Position auch im Interesse dieser "Werte" darin bestünde, mit den unmittelbaren Nachbarn im Frieden zu leben. Oder mehr noch müsste man fragen: Welchen Sinn besitzt ein Paket von Werten, das anscheinend aus sich heraus zu beständiger Feindseligkeit nötigt und damit zumindest den Wert des Friedens (der für die meisten Weltanschauungen auf diesem Planeten an der Spitze aller Werte steht) nicht umfasst?

Dabei darf man nicht vergessen, dass spätestens seit dem Jahr 2014 nicht nur in der Ukraine, sondern auch im gesamten Westen das Feindbild Russland besonders intensiv gehegt und gepflegt, gegossen und gedüngt wurde, bis zum heutigen Tag, und dass sich halbstaatliche US-Organisationen ernsthaft mit Plänen zur Aufteilung Russlands befassen, die aus dem Aktenschrank im Amt Rosenberg der deutschen Nazis geklaut sein könnten.

In jenen Jahrzehnten, in denen es in Westeuropa noch eine Friedensforschung gab, die diesen Namen verdient, wurde oft die Wichtigkeit des Abbaus von Feindbildern für einen dauerhaften Frieden betont. Jede ernsthaft betriebene Forschung historischer, psychologischer oder soziologischer Art kommt zu der Einsicht, dass die Kategorien, die umgekehrt für die gezielte Erzeugung von Feindbildern aufgebaut werden müssen, keinerlei reale Grundlage haben. Und dennoch ist man im heutigen Deutschland inzwischen wieder so tief gesunken zu behaupten, die Russen seien keine Europäer.

Das letzte Detail, das im Gesamtbild noch fehlt, sind all die Sanktionen im Bereich der Wirtschaft, aber auch politisch, diplomatisch, kulturell und im Sport. Die sind ebenso völkerrechtswidrig wie das Unterlaufen der von den UN legitimierten Minsker Vereinbarungen oder eine "Vorbereitung des Schauplatzes". Gleich drei massive Verstöße gegen das Völkerrecht; schlimmer noch, es sind Verstöße durch jene Parteien, die dieses Völkerrecht mit geschaffen hatten, auf das sie sich ständig berufen wollen.

In der historischen Bewertung wird es nicht die Frage sein, wer die "Startpistole" in der Hand hielt und irgendwann eventuell abfeuerte. Das ist in Bezug auf die Ukraine und Taiwan ebenso wenig entscheidend, wie es aus heutiger Sicht die Schüsse von Sarajewo am Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 waren. Entscheidend ist, wer den Schauplatz vorbereitet hat. Das ist es, woran man den wirklichen Kriegstreiber erkennt. Mit der Äußerung von Bierman ist das nun auch in der Financial Times als einem renommierten westlichen Medium belegt.

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