Meinung

"Letzte Generation": Wenn Radikalisierer Radikalisierung befürchten

Radikalisierung gehört wohl zu den größten Übeln unserer Zeit. Kaum denkt ein Mensch laut darüber nach, einen zaghaften Widerstand gegen die Regierungspolitik auch nur in Erwägung zu ziehen, tönen Politik und Medien in Eintracht: Achtung, hier findet eine Radikalisierung statt! Wir müssen Berge versetzen, um das zu verhindern. Es sei denn, man klebt sich auf der Straße fest und verunstaltet Kunstwerke.
"Letzte Generation": Wenn Radikalisierer Radikalisierung befürchtenQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Martin Dziadek via www.imago-images.de

Von Tom J. Wellbrock

Haben kürzlich "klebtomahnende" Jugendliche dafür gesorgt, dass eine Frau starb, oder auch (nur) einem Hirntod erlag? Nein, nein, Entwarnung, alles im grünen Bereich. Die eingeleiteten Rettungsmaßnahmen und die Straßenklebe hingen nicht direkt zusammen. Glück gehabt! Aber kümmern muss man sich irgendwie doch um die "Letzte Generation". Sonst büßen die Aktivisten womöglich noch Sympathiepunkte bei der Bevölkerung ein, die einfach mal unterstellt werden.

Kleben fürs Klima?

Es gibt das "gute Frieren". Wenn man damit Putin schaden und dem Weltfrieden einen Dienst erweisen kann, ist das Frieren Bürgerpflicht. Und wenn man Tomatensuppe auf Kunstwerke wirft, sich auf Straßen festklebt und ganz doll weint, wenn jemandem das nicht passt, geht das auch in Ordnung. Nur die Sache mit diesem Unfall, die braucht Konsequenzen.

Bloß: Wie sollen die aussehen? Die bisherigen Strafen reichen aus, heißt es von der "Ampel". Auf keinen Fall! Die Opposition behauptet, man müsse härter vorgehen. Diese geschmeidigen Behauptungen bringen aber das eine oder andere Problem mit sich.

Bei uns stehen Sie in der zweiten Reihe!

Um die Komplexität oder auch die Absurdität zu verdeutlichen, konstruieren wir an dieser Stelle ein kleines Beispiel:

"Kevin, Jasmin, Tim, Elvira und Fraak (eine non-binäre Persönlichkeit mit geschlechtsneutralem Namen) kleben sich auf einer Hauptverkehrsstraße fest. Sie warten, bis die Fußgängerampel auf Grün steht, und betreten gut sichtbar die Straße. Dann kleben sie sich fest. Der erste Autofahrer stoppt erschrocken, auf der zweiten von insgesamt zwei Spuren kommt ein weiterer Wagen zum Stehen. Nach und nach bildet sich eine Schlange durch die danach kommenden Autos.

Wir haben hier einen Fall von Nötigung. Zumindest teilweise. Denn das Gesetz unterscheidet zwischen physischer und psychischer Gewaltanwendung durch die Sitzblockierer. Die Fahrer in der ersten Reihe werden demnach nicht genötigt. Denn sie werden lediglich psychisch an der Weiterfahrt gehindert. Sie könnten also die Blockierer einfach über den Haufen fahren. Das werden aber die wenigsten tun, weil sie a) keinen Menschen überfahren und b) die entsprechende Strafe nicht wollen. Daraus ergibt sich, dass die beiden Autofahrer in der ersten Reihe keine physischen Einschränkungen erfahren. Technisch betrachtet könnten sie ja fahren, und es ist 'nur' ihr Gewissen, das sie davon abhält.

Die Fahrer der zweiten Reihe haben es besser. In ihrem Fall liegt eine Nötigung vor, aber nicht direkt durch die Blockierer, sondern durch die Autos in der ersten Reihe. Sie werden also durch die Blechhaufen vor ihnen physisch an der Weiterfahrt gehindert. Dafür verantwortlich gemacht werden aber die Sitzblockierer."

Wir lernen: Es handelt sich hierbei um eine Art "Schrödingers Nötigung", sie liegt also gleichzeitig vor bei Autos in der zweiten Reihe, und sie liegt nicht vor für die Fahrer der ersten Reihe. Nötigung kann mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden.

Geklebte Nötigung

Nun kommt aber ein weiterer Tatbestand hinzu. Wenn sich die Sitzblockierer – wie es ja bei der aktuellen Bewegung eine Selbstverständlichkeit ist – nicht einfach nur hinsetzen, sondern auch Maßnahmen ergreifen, um die Beendigung ihrer Aktion zu erschweren. Wir kennen das vom Anketten auf Demonstrationen, etwa gegen Atomkraft. In unserem Fall kleben sich die Teilnehmer auf der Straße fest, wodurch grundsätzlich die Nötigung erfüllt ist.

So gesehen sind die Forderungen nach einer Verschärfung der Gesetze tatsächlich überflüssig, denn schon wegen des Faktors des Festklebens liegt eine Nötigung vor, entsprechende Geld- oder Freiheitsstrafen sind also möglich.

Das Problem liegt woanders.

Richter in Anzügen

Fakt ist also, dass es Strafen für Sitzblockierer gibt, sie ergeben sich aus dem Strafgesetzbuch und werden von Richtern verhängt, die für den jeweiligen Fall zuständig sind. Und genau der sollte betrachtet werden. Wenn durch eine Sitzblockade ein anderer Verkehrsteilnehmer ums Leben kommt, ist der Fall komplex, die Beweisführung anspruchsvoll, der Richterspruch muss zahlreiche Aspekte berücksichtigen.

Kleben sich dagegen Blockierer auf einer Nebenstraße fest, die womöglich als Sackgasse endet, dürften die Folgen nicht so gravierend sein (auch wenn dieses Beispiel nur bedingt tauglich ist, da solche Aktionen wenig bewirken würden und somit eher uninteressant sind).

Was die Politik hier veranstaltet, ist im Wesentlichen purer Populismus. Es wird so getan, als hätte man keine Instrumente in der Hand, um mit Sitzblockierern klarzukommen, und dann beginnt auch schon der verbale Wettbewerb um die krassesten Formulierungen. Man müsse eine Art "Klima-RAF" verhindern, tönt es, wohlgemerkt aus der Opposition in Gestalt von Alexander Dobrindt (CSU), der sicher anders argumentieren würde, wäre er in Regierungsverantwortung.

Nicht weniger unverschämt ist aber die Argumentation der Regierungsseite. Zwar sei eine Radikalisierung bei den Klima-Aktivisten zu befürchten, die Gesetzeslage reiche jedoch aus, um damit umzugehen. Das ist richtig, vernachlässigt aber die Rolle der Richter und den indirekten Druck, der durch die grundsätzliche Beliebtheit der Sitzblockierer bei der Politik eine entscheidende Rolle spielt. Je positiver die Blockierer gesellschaftlich wahrgenommen werden, desto schwieriger ist es für Richter, angemessene Urteile zu sprechen.

Auf der anderen Seite könnte die aktuelle aggressive Rhetorik Richter dazu verleiten, Urteile zu fällen, die übertrieben und der jeweiligen Situation nicht angemessen sind.

Einzige sinnvolle Möglichkeit: Die Politik hält sich heraus. Sie hat ohnehin nicht die Macht, auf Einzelfälle einzuwirken, das ist die Aufgabe der Richter. Auch härtere Strafen im Gesetzbuch würden nichts ändern, denn die Entscheidung über eine Strafe muss individuell und durch einen Richter getroffen werden. Die Meinung eines Herrn Dobrindt oder anderen spielt hier im besten Fall nicht die geringste Rolle.

Gegen die Radikalisierung?

Völlig losgelöst von der Frage, wie die "Letzte Generation" einzuordnen ist, muss klargestellt werden, dass die schlimmsten Radikalisierungen durch Medien und Politik getragen wurden. Spätestens seit Beginn der Corona-Episode wurden abweichende Meinungen auf einer Art politischem und medialem Scheiterhaufen festgezurrt. Rufmord, Existenzzerstörung, Kontenlöschungen, mediale Hetzkampagnen, Lügen, Beleidigungen, Polizeigewalt und vieles mehr hat das, was einmal als Demokratie wahrgenommen wurde, bis ins Mark erschüttert. Die Verfolgung und Diffamierung abweichender Meinungen bekam seit Ausbruch des (jüngsten) Krieges in der Ukraine eine nochmals neue Qualität.

Gleichzeitig muss man festhalten, dass die Aktionen der Sitzblockierer das Ergebnis einer wohlwollenden Politik sind, die sich selbst nach und nach radikalisiert hat. So wie es bei Corona keine zweite zugelassene Meinung gab und beim Ukraine-Krieg nicht, so ist es auch beim Klimawandel. Es wird Stimmung gemacht, von klimabedingten weiteren Pandemien schwadroniert und für den "kleinen Mann" Maßnahmen zum Klimaschutz als unverzichtbare Pflicht tituliert. Da passt die "Letzte Generation" hervorragend ins Bild, denn sie transportiert die schlimme Botschaft des baldigen Todes aller Menschen durch den Klimawandel auf radikale Art und Weise. Härtere Maßnahmen durch bereits bestehende Gesetze wird es daher wohl eher nicht geben, passt der Klimaaktivismus doch bestens ins Bild des politisch gewollten Narrativs.

Und noch eine Anmerkung: Es ist die Radikalisierung von Politik und Medien, die die Radikalisierung der Jugend beeinflussen, was zu teils verstörenden Folgen führt. Die Panik, mit der viele Jugendliche inzwischen zu beobachten sind, die Tränen, die Verzweiflung, die Wut, all das entsteht nicht ohne Fremdeinwirkung in den Köpfen junger Menschen.

Die "Letzte Generation" könnte die erste Generation sein, die so verunsichert und verängstigt ist, dass sie kaum noch in der Lage ist, Sachverhalte nüchtern zu betrachten. Zudem – und das ist für das Leben eines Jugendlichen viel entscheidender – wächst hier die erste Generation derer heran, denen der Spaß am Leben Schritt für Schritt abhandenkommt.

Mehr zum ThemaKarin Kneissl: Die Rückkehr der Kohle 

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.