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Neues Gutachten aufgetaucht: Hat sich Epstein wirklich selbst umgebracht?

Entgegen offizieller Darstellungen hegte der pädophile Milliardär Jeffrey Epstein im Gefängnis keine Selbstmordgedanken. Dies belegen psychologische Gutachten aus frisch enthüllten Dokumenten der US-Vollzugsbehörde. Allerdings wird darin die Löschung und Änderung von Einträgen angedeutet.
Neues Gutachten aufgetaucht: Hat sich Epstein wirklich selbst umgebracht?Quelle: Gettyimages.ru

Von Kit Klarenberg und Keelan Balderson

Dokumente des US Federal Bureau of Prisons (BOP, US-Bundesamt für Gefängnisse), die der investigativen RT-Redaktion The Detail zur Verfügung gestellt wurden, werfen ernsthafte Fragen zu Jeffrey Epsteins angeblichem Selbstmordversuch auf. Dieser soll sich während seiner Inhaftierung im Metropolitan Correctional Center ereignet haben. Die Akten, die auf ein Auskunftsersuchen hin freigegeben wurden, wecken Zweifel an einem zentralen Baustein des offiziellen Narrativs über den angeblichen Selbstmord – nämlich, ob er überhaupt als solcher stattgefunden hat.

Hergang des ersten Selbstmordversuchs in Akten geschwärzt

Nach der bisher verbreiteten Chronologie der Ereignisse wurde Epstein in den frühen Morgenstunden des 23. Juli 2019, 17 Tage nach seiner Festnahme wegen Menschenhandels mit Minderjährigen zum Zweck der Zwangsprostitution, halb bewusstlos auf dem Boden seiner Zelle gefunden. Er wies am Hals Spuren von Verletzungen nicht näher bezeichneter Art auf. Sein Zellengenosse, ein ehemaliger Beamter des Polizeidepartements von New York, Nicholas Tartaglione – der zufälligerweise denselben Rechtsbeistand hat wie Epsteins Partnerin und "Madame" Ghislaine Maxwell hatte –, behauptete, sich an nichts erinnern zu können.

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Aus den offiziellen Akten geht hervor, dass innerhalb weniger Minuten nach dem Vorfall ein Selbstmordversuch durch "Erhängen/ Ersticken" protokolliert worden sei. Jedoch sind Teile des Berichts, in dem der Hergang des Vorfalls beschrieben wird, vollständig geschwärzt, ebenso der Name der Person, die ihn verfasste. Zudem wurde der Befund des Arztes, der Epstein etwa fünf Stunden später untersuchte und Epsteins eigene Schilderung darüber enthält, wie er sich die Verletzungen zugezogen hatte, völlig unkenntlich gemacht.

"Selbstmordgefahr" schon am nächsten Tag vorbei?

Gleich am nächsten Tag wurde Epsteins Überwachung für Selbstmordgefährdete eingestellt und gegen ihn ein disziplinarisches Verfahren wegen Verstoßes gegen die Vollzugsanstaltsordnung gemäß Prison Code 228 ("Tätowierung oder Selbstverstümmelung") eingeleitet. Im Rahmen dessen wurde er einem psychologischen Gutachten unterzogen. Dazu kommentierte ein Beamter, "höchstwahrscheinlich wird er für zurechnungsfähig befunden, denn er ist nicht geisteskrank". Ein anderer Beamter fragte hingegen an, ob Epstein überhaupt "geistig in der Lage ist, das Disziplinarverfahren fortzusetzen". Ein weiterer, nicht namentlich genannter Mitarbeiter vermerkte daraufhin schließlich die sonderbare Antwort: "Ich würde mich dabei sehr unwohl fühlen".

In den Akten finden sich mehrere Kopien des Berichts über den Vorfall – doch erst eine Woche später, am 30. Juli, wurde das Dokument dahingehend geändert, dass "Selbstverstümmelung" als Grund für einen Selbstmordversuch angegeben wurde, ergänzt durch den Hinweis auf "Risswunden". Im ärztlichen Bericht, der nur wenige Stunden nach dem Vorfall in der Zelle verfasst worden war, ist von Risswunden jedoch keinerlei Rede – vielmehr wird ausdrücklich festgestellt, dass keine derartigen Wunden gefunden wurden. Das wirft die Frage auf, warum die angebliche "Selbstverstümmelung" mit "Risswunden" mehrere Tage später doch in das offizielle Protokoll aufgenommen wurde.

In Erwartung einer Untersuchung aufgrund Epsteins angeblichen Verstoßes brachte man ihn, getrennt von den übrigen Insassen, zu denen Epstein zurückzukehren sich geweigert hatte, zunächst in Disziplinargewahrsam. In der Zwischenzeit prüften die Beamten "geeignete Kandidaten" als neuen Zellengenossen.

Eine gründliche Überprüfung ergab einem Vermerk zufolge, dass andere Insassen der Secure Housing Unit als grundsätzlich "nicht geeignet für eine Unterbringung mit Herrn Epstein" angesehen wurden. Gründe dafür wurden nicht genannt. Allerdings wurde ein "auffälliger" Gefangener "mit einer Vorgeschichte von Sexualdelikten" "aufgrund seiner bedrohlichen Art" ausdrücklich als Zellengenosse Epsteins ausgeschlossen.

Nachdem das psychologische Gutachten befunden hatte, dass Epstein an dem Disziplinarverfahren teilnehmen konnte, wurde in den Akten ein Bericht über eine kurze Untersuchung durch das Gefängnis zum Vorwurf der "Selbstverstümmelung" am 30. Juli festgehalten.

Dem Bericht ist zu entnehmen, dass "keine Zeugen angefordert wurden" und der "Häftling Epstein eine unkooperative Einstellung" gezeigt hatte, bei der er jegliche Aussage verweigerte. Trotzdem kam der Ermittler zu dem Schluss, dass "der Bericht wie erwähnt korrekt und der Vorwurf gerechtfertigt ist". Die Angelegenheit wurde anschließend zur "weiteren Bearbeitung" an die übergeordneten Stellen weitergeleitet – doch offenbar starb Epstein, bevor eine endgültige Entscheidung über sein vermeintliches Vergehen getroffen wurde.

Noch merkwürdiger ist, dass in einer als geheim eingestuften internen Notiz der US-Vollzugsbehörde vermerkt ist, dass der Bericht über die Selbstverstümmelung fünf Tage nach Epsteins Tod "gelöscht" wurde. Mit anderen Worten, der Bericht wurde aus den Akten gestrichen, als hätte der Vorfall nie stattgefunden. Ein Beamter fügte hinzu, es sei "unklar, warum der Bericht gelöscht wurde – und ob Herr Epstein davon wusste".

Diese Ungereimtheiten mögen auch erklären, warum die gesamte bizarre Episode, bei der die Gefängnisbehörden versuchten, den milliardenschweren Sexualstraftäter für das Vergehen eines angeblichen Selbstmordversuchs zu bestrafen, von den Mainstream-Medien bislang nicht erwähnt wurde.

Um das schon verworrene Bild noch komplizierter zu machen, veröffentlichte die New York Post am 14. August 2019, vier Tage nach Epsteins Tod, eine sensationelle Exklusivmeldung: Darin wird behauptet, Epstein habe seine Anwälte darüber informiert, dass Tartaglione ihm "Prügel verpasst" habe. Dies sei nicht nur der Grund dafür gewesen, dass er bewusstlos in seiner Zelle aufgefunden wurde, sondern auch dafür, dass seine Überwachung wegen Selbstmordgefahr eingestellt wurde.

Tartagliones Anwalt Bruce Barket bestritt diese Darstellung energisch: Er behauptet, die Geschichte sei der NYP von einem Gefängniswärter untergeschoben worden, der "auf [Epstein] wütend war, weil dieser sich über die beklagenswerten Bedingungen im Metropolitan Correctional Center beschwert hatte". Im Gegenteil, berichtet Barket, Epstein und Tartaglione "gingen regelmäßig gemeinsam von ihrer Zelle zum Besuchsbereich", da ihre Anwälte "denselben Zeitplan" hatten und beide "sich gut verstanden":

"Ich wäre sehr überrascht, wenn später behauptet worden wäre, Nick habe ihn angegriffen, denn das ist nicht das, was uns die ganze Zeit erzählt wurde."

Aus den Unterlagen, die The Detail zur Verfügung gestellt wurden, geht hingegen hervor, dass Epstein sich tatsächlich häufig bei der Gefängnisverwaltung beschwerte. Allerdings galten seine Beschwerden eher Alltagsproblemen, wie fehlendem Toilettenpapier, einer 45 Minuten lang ununterbrochen laufenden Toilettenspülung oder dem Umstand, dass sein Zellengenosse (vor allem nachts) zu viel geredet habe. Keinerlei Hinweise gibt es jedoch darauf, dass er sich jemals in Gefahr oder bedroht gefühlt hätte – weder von Insassen noch von Wärtern.

Das mag zum Teil daran liegen, dass er die meiste Zeit seines Vollzugsaufenthalts zusammen mit dem massigen Tartaglione untergebracht war. Diesem Berg von einem Mann droht die Todesstrafe, weil er im Rahmen eines Komplotts zum Verkauf von Kokain einen Vierfachmord begangen haben soll. Eines der Opfer wurde laut den Ermittlungen mit einem Kabelbinder erwürgt. Er kam in dieselbe Zelle wie Epstein, weil er mit den Behörden kooperierte. Er hätte viel zu verlieren, wenn er irgendeinen Regelverstoß gewagt, geschweige denn seinen Zellengenossen angegriffen hätte.

Derartiger kameradschaftlicher Schutz unter Insassen mag auch bis zu einem gewissen Grad erklären, warum Epstein laut mehrerer psychologischer Gutachten im Gefängnis, die nach seinem augenscheinlichen Selbstmordversuch durchgeführt wurden, ein Idealbild an Optimismus und Stabilität bot.

Eines der Gutachten beschreibt ihn als "aufmerksam, ruhig und kooperativ" und verneinte ausdrücklich "rezente und aktuelle Selbstmordgedanken, -pläne und -absichten". Es beschreibt ihn als "zukunftsorientiert", er "bejahte den Wunsch zu leben und in Sicherheit zu sein – und erklärte sich bereit, das Personal unverzüglich zu kontaktieren, sollte er Suizidgedanken oder psychische Probleme haben."

"Er zeigte eine neutrale Affektlage bei der üblichen Schwankungsamplitude. Augenkontakt und Hygiene waren angemessen. ... Seine Gedanken waren geordnet und zusammenhängend, ohne die Beeinträchtigung durch Assoziationen, ohne tangierende, nebensächliche oder irrelevante Inhalte", schrieb ein vom Gefängnis eingesetzter Psychologe. "Es gab keine Anzeichen für eine Wahrnehmungsstörung, wahnhafte Vorstellungen oder eine formale Denkstörung. Er hat kein bizarres oder unangemessenes Verhalten an den Tag gelegt."

Ein weiteres Gutachten nennt "schützende Faktoren", die im Laufe der Gespräche an Epstein diagnostiziert wurden. Dazu zählt auch der Befund, dass er "aktuelle Selbstmord- oder Selbstverletzungsgedanken" oder "das Gefühl der Hoffnungslosigkeit" verneinte.

"Er bestritt, um seine Sicherheit zu fürchten. ... Er gab an, dafür zu leben und vorzuhaben, diesen Fall abzuschließen und zu seinem normalen Leben zurückzukehren. ... Seine Freunde und Anwälte leisten ihm emotionale Unterstützung. ... Er ist Jude [und] Selbstmord läuft seiner Religion zuwider." Insgesamt hätten die schützenden Faktoren die Risikofaktoren für eine Selbstmordgefährdung überwogen: "Eine Suizidüberwachung ist zu diesem Zeitpunkt nicht gerechtfertigt."

Trotzdem wurde Epstein kurzzeitig unter Selbstmordbeobachtung gesetzt – und die Dokumente zeigen, dass die Wärter alle 15 Minuten ordnungsgemäß detaillierte Berichte über seine Aktivitäten anfertigten: "Häftling Epstein schläft; Häftling Epstein liegt ruhig im Bett; Häftling Epstein geht in seiner Zelle auf und ab". Von dieser intensiven Art der Überwachung wurde er am 24. Juli 2019 auf die geringere Stufe "psychologische Beobachtung" herabgestuft.

Sechs Tage später wurde Tartaglione durch Efrain Reyes ersetzt, der in einem Fall von Drogenhandel mit den Behörden kooperierte. Am 9. August wurde jedoch auch Reyes versetzt und ließ Epstein allein zurück – ein Verstoß gegen die Vollzugsverfahrensregeln und entgegen einem in den Akten enthaltenen Vermerk, dass in Gesprächen zwischen den Tag- und Abendschichten der Gefängniswachen die dringende Notwendigkeit eines neuen Zellengenossen thematisiert wurde.

Am nächsten Tag "beging er Selbstmord"

Einen Tag später war er tot. Medienberichten jener Tage zufolge waren ihm nahestehende Menschen von dieser Nachricht "überrascht", denn der umtriebige Pädophile "schien in letzter Zeit in guter Stimmung zu sein". Das veranlasste die Hinterbliebenen, ihre Besorgnis "über die Möglichkeit einer schweren Straftat" zu äußern.

Auch die regelmäßigen halbstündigen Kontrollen des Häftlings waren entgegen der üblichen Vorgehensweise eingestellt worden: Die designierten Wärter Tova Noel und Michael Thomas verbrachten einen großen Teil ihrer Schicht am Schreibtisch, surften im Internet und bewegten sich überwiegend im Gemeinschaftsbereich, der nur wenige Meter von Epsteins Zelle entfernt war.

Darüber hinaus hatten zwei Kameras in der Nähe offenbar eine Fehlfunktion; eine dritte im angrenzenden Flur war ebenfalls beschädigt. Aus einigen Überwachungsbereichen soll es zwar Filmmaterial geben, das aber noch nicht veröffentlicht wurde. Noel und Thomas gaben später zu, Protokolleinträge gefälscht zu haben. Beide wurden wegen unwahrer Angaben in den Gefängnisunterlagen angeklagt.

Obwohl dies ein schwerwiegendes Verbrechen ist, wurden am 13. Dezember 2020 die Anklagen kurzerhand fallen gelassen. Öffentlich bekannt gegeben wurde dies allerdings erst am 30. Dezember – einen Tag, nachdem Ghislaine Maxwell für schuldig befunden wurde, junge Mädchen für den sexuellen Missbrauch rekrutiert und gehandelt zu haben.

"Ist am Tigerkäfig der Büffel ausgeschildert – glaube deinen Augen nicht"

Auffallend ist, wie die New York Times in ihrem Bericht über die in psychologischen Gutachten des Gefängnisses zu Epstein festgehaltene Leugnung jeglicher Selbstmordabsichten seitens des Sexualstraftäters interpretierte – nämlich als Beweis für sein "Leben der Manipulation", seine immense Fertigkeit beim Täuschen Anderer und seine grenzenlose Fähigkeit, "Illusionen zu schaffen".

Eine andere Interpretation liegt nahe – doch wurde sie von dem viel gerühmten Leitmedium offenbar nicht in Betracht gezogen: Sein Leugnen von Selbstmordabsichten und seine Zuversicht für die Zukunft könnten durchaus aufrichtig gewesen – und sein Tod somit möglicherweise auf externe Akteure und unbekannte Faktoren zurückzuführen sein.

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Übersetzt aus dem Englischen

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Kit Klarenberg ist investigativer Journalist, der die Rolle von Geheimdiensten in der Politik und öffentlichen Wahrnehmung untersucht. Folgen Sie ihm auf Twitter @KitKlarenberg

Keelan Balderson ist ein in Großbritannien lebender Journalist mit den Schwerpunkten Sicherheitsdienste und Missbrauch staatlicher Macht. Verfolgen Sie seine Arbeit unter @altnewsuk.

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