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Japans irrlichternder Sonderweg: Immer mehr neues Geld statt Zinserhöhung

Japan hält stur an einer expansiven Fiskalpolitik fest. Die Wirtschaft stagniert, der Yen ist im freien Fall und das japanische Volk offenbar nicht im Bilde. Ist die kognitive Dissonanz der Tokioter Führung symptomatisch für den Untergang des angelsächsischen Jahrhunderts?
Japans irrlichternder Sonderweg: Immer mehr neues Geld statt ZinserhöhungQuelle: www.globallookpress.com © Stanislav Kogiku / Keystone Press Agency

Eine Analyse von Elem Raznochintsky

Am vergangenen Freitag veröffentlichte die Bank of Japan ihre neue Zinsrate, die nun bei minus 0,1 Prozent liegt. Damit stellt sich die Zentralbank im Land der aufgehenden Sonne dem Modus Operandi quer entgegen, den all die anderen westlichen Zentralbanken betreiben, nämlich eine stetige, sehr steile Erhöhung der Bankzinsrate: in diesem Jahr oft alle vier bis acht Wochen. Wie die Experten der Öffentlichkeit selbst beteuern, zur gezielten Senkung der Inflation. Die EZB zum Beispiel liegt seit Kurzem bei 2 Prozent. Die Bank of Canada dagegen hat kürzlich auf 3,75 Prozent erhöht, wobei von der US Federal Reserve bereits erwartet wird, dass sie den Bogen überspannt und zeitnah von den heutigen 3,25 Prozent hoch spurtet auf 5 Prozent und sogar 6,8 Prozent bis Ende 2022. Eine globale Rezession für das gesamte Jahr 2023 ist geradezu mit empirischer Gewissheit anzunehmen.

Tokios Inflationsrate ist aber auch im Vergleich zu den westlichen Partnern mit 3 Prozent gering. Deutschland erreichte im Oktober ein historisches Hoch von 10,4 Prozent. Der Inselstaat und seine wirtschaftliche Krise scheint in mancher Hinsicht invertiert im Vergleich zu Europa und dem nordamerikanischen Kontinent – aber eine Krise ist es wahrlich nichtsdestoweniger.

Natürlich ist die grenzenlose Geldmengen-Erweiterung durch quantitative Lockerung (QE) nicht ein direkter Versuch Tokios, die ohnehin moderate Inflation zu bändigen. Die offizielle Begründung stattdessen lautet, dass man mit dem schier grenzenlosen Rausch an neu erschaffenem Geld schafft, die Wirtschaft so sehr zu animieren, erneut zu wachsen, dass dieses Wachstum die gleichzeitige Entwertung der nationalen Währung Yen "einholt". Es ist eine so sich selbst überschätzende, kosmetische und realitätsferne Fehlerrechnung, dass es schwer ist, sich vorzustellen, es gäbe Leute, denen die präzedenzlosen Konsequenzen nicht klar wären.

Mit 147 Yen pro US-Dollar hatten diese Maßnahmen bisher überhaupt keinen Einfluss auf die laufende Entwertung des Yen. Wenn diese wiederum fortschreitet, so wird das Inflationsproblem für Tokio sehr schnell mindestens so dringlich wie für Europa und Amerika. Außerdem ist eine Kapitalflucht aus Japan bereits in vollem Gange und kann als solche kaum von der Bank of Japan reguliert oder gar gebremst werden.

Wenn die japanische Zentralbank die Zinssätze weiterhin niedrig halten wird, während die US Federal Reserve diese weiter anhebt, wird der Yen weiter in die Abwertung stürzen. Konkret heißt das, dass die Preise für importierte Waren – insbesondere für Kraftstoffe, Lebensmittel und Rohstoffe – immer weiter steigen werden und die Kaufkraft der japanischen Währung immer weiter abnimmt. Das Bruttoinlandsprodukt lag im Jahr 2021 bei 1,7 Prozent, was im Vergleich zu anderen Industrieländern im selben Jahr als niedrig gilt. Während die Staatsverschuldung in den letzten dreißig Jahren unaufhörlich wuchs.

Die "verlorene Dekade"

Dabei hatte Japans politische und finanzwirtschaftliche Elite wirklich mehr als genug Zeit, das Ruder herumzureißen, umzudenken, sich vorzubereiten auf einen anderen Kurs. Jeder wäre besser als der jetzige. Die Japaner nennen ihre 1990er Jahre das "verlorene Jahrzehnt", wobei das Jahr 1991 den Auftakt gab, als die ersten Finger verbrannt wurden. 

Das alles wurde aber nur dank der gierigen Fehler der 1980er Jahre erst möglich: Denn die sogenannte "Blasen-Hochkonjunktur" wertete den Yen in wenigen Jahren um 73 Prozent auf. Während der Import von ausländischen Gütern gedrosselt wurde, führte der Export zu einem Außenhandelsüberschuss. Die schon seit den 1950er Jahren protektionistisch geführte Wirtschaft Japans wurde auf Druck und Wunsch Washingtons Mitte der 1980er Jahre geöffnet. Dies führte dazu, den Import- und Export-Kreislauf des Landes zu überhitzen.

Plötzlich entpuppte sich, dass Japan Konsumgüter im eigenen Land um das Sechsfache des westlichen Durchschnittspreises verkaufte. Kartellartige Preisabsprachen zwischen einzelnen regionalen Monopolen innerhalb Japans haben künstlich den inländischen Warenwert hochgehalten. Die erwähnten Außenhandelsüberschüsse wurden in den Immobilien- und Aktienmarkt gepustet, was für einfache Bürger die Preise für ein potenzielles Heim in nicht mehr zumutbare Höhen katapultierte. Die Probleme wurden nie wirklich gelöst, sondern vertagt. Bald würden sich für viele Japaner auch die 2000er und 2010er Jahre zu der "verlorenen Dekade" hinzugesellen.

Wären die heutigen Japaner im Bilde, welchem Risiko ihre Gesellschaft und Wirtschaft ausgesetzt ist, wären sie wahrscheinlich schon längst auf der Straße. Wird die Apathie und der ungerechtfertigte Etatismus der Japaner nicht sehr bald im Express verfliegen, wird Japan den einleitenden Auftakt zum Zerfalls des westlichen Finanzsystems darstellen. Noch im September zeigten Daten, dass Japan im Hintergrund US-Staatsanleihen wieder verkauft, aber es waren keine Summen, die die US-Führung in irgendeiner Weise beunruhigen oder herausfordern würden.

Japan müsste das Gegenteil einleiten, von dem, was es bisher tat. Statt die minus 0,1 Prozent Zinsrate auszurufen, müsste es schrittweise Zinserhöhungen veranlassen und erhebliche Kürzungen der Staatsausgaben vornehmen. Welcher moderne Staat hat das aber jemals getan, ohne gleichzeitig die Steuerlast der Bürger ins Exorbitante zu jagen? Die 200 Milliarden, die Scholz jüngst zu staatlichen Schein-Subventionierungen der verheerenden Budget-Unzulänglichkeiten – Energiekosten, Lebensmittelkosten und so weiter – der BRD "neu drucken ließ", sind ein Beispiel für die traurige Regel, nicht die mutige Ausnahme. Das Geld wird auch nicht im Kanzlerkeller gedruckt, sondern der Staat nimmt einen Kredit auf in dieser Höhe.

All das, während Finanzminister Christian Lindner gleichzeitig von der Schuldenbremse redet. Des Weiteren hatte Scholz seine Absichten weder mit Brüssel, Paris, Rom, Madrid noch Warschau abgesprochen. Obwohl Deutschland der Hauptleidtragende der Sanktionen gegen Russland ist, war dieser Berliner Alleingang für kriegstreibende EU-Länder im Osten ein gefundenes Fressen, sich zu beschweren und über deutschen Partikularismus zu klagen. Da ist Scholz sicherlich beim Schlendern im Hause Europa unnötig grob gestürzt. In absehbarer Zeit wird es auch weiterhin keinen Mangel an selbst verschuldeten politischen Fehlern geben.

Japans Integration in den Wertewesten

Die im Jahr 1973 von Zbigniew Brzeziński und David Rockefeller gegründete Trilaterale Kommission ist ein internationalistischer Meilenstein der weiteren Integrierung Japans in das neoliberale Institutionengeflecht. Das Ausmaß dessen erstreckt sich von Washington D.C., New York, London, Paris, über Brüssel, Berlin und Tokio. Wobei sie zusammen mit der NATO, der EU, dem IWF, dem WEF und einigen anderen, wie dem Council on Foreign Relations, ein weltanschauliches Ganzes ausmachen.

Gleichzeitig bleibt aber Japan laut UN-Charta, ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland, juristisch und offiziell ein "Feindstaat". Auf jede Nennung dieses Faktes kommen zehn Faktenchecker, die erklären, dass die Feindstaatenklausel der UN-Charta gewohnheitsrechtlich und per vorherrschender Mehrheitsmeinung de facto obsolet und veraltet sei. Ende 1994, als man es hätte de jure untermauern können, beschloss die Generalversammlung, die drei mit der Feindstaatenklausel assoziierten Artikel der UN-Charta, lediglich mündlich als nichtig zu erklären. Sie sind aber bis heute noch da und haben zumindest eine symbolische Bedeutung. Sie stehen für das unvollendete oder sogar stark angeschlagene Selbstbestimmungsrecht dieser Länder.

Zum Beispiel würde sich das Attribut eines wahrhaft souveränen Staates in der konkreten Frage äußern, wie seine heutige Wirtschaft zu retten sei. Aber offensichtlich ist das nicht das Ziel oder die Absicht der USA, und so kann es auch nicht die Absicht Berlins oder Tokios sein. Ob Japan und die BRD aufgrund ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg weiterhin in der UN-Charta als "Feindstaaten" bezeichnet werden sollen oder nicht, ist eine andere wichtige Frage. Die entscheidende Tatsache ist jedoch, dass sie es – juristisch fixiert – nun mal beide bis heute sind. Und zurzeit befinden sich diese beiden Staaten klar auf dem Altar des "amerikanischen Friedens" – allzeit bereit, sich selbst zu opfern.

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