Deutschland

Über 500 Treffen in vier Jahren: Ex-Politiker als Türöffner für Konzerne und Verbände

Der Wirecard-Skandal hat laut LobbyControl verdeutlicht, wie problematisch es ist, wenn ehemalige Politiker ihre Kontakte zugunsten von Wirtschaftskonzernen nutzen, deren Anliegen sie in die obersten Entscheidungsetagen tragen. Laut aktuellen Recherchen kommt dies weiter häufig vor.
Über 500 Treffen in vier Jahren: Ex-Politiker als Türöffner für Konzerne und VerbändeQuelle: www.globallookpress.com

Es sind für Lobbyismus bereits bekanntere Namen wie Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), die ihre Kontakte in die Bundesregierung für Anliegen der Wirtschaft genutzt haben, aber auch Sigmar Gabriel (SPD), Franz Josef Jung (CDU), Rainer Brüderle (FDP) oder Philipp Rösler (FDP). In der noch laufenden Legislaturperiode waren wieder mehrere Minister a.D. aus früheren Legislaturen nah an ihren früheren Arbeitsplätzen aktiv und haben so wohl die Anliegen ihrer Arbeitgeber aus der Privatwirtschaft ganz nach oben in die Bundesregierung getragen.

Dass Minister nach dem Ende ihrer Amtszeit für die Wirtschaft tätig werden, scheint eine klassische Win-Win-Situation für diese beiden Seiten, wenn auch nicht für die Demokratie: Die Ex-Politiker erhalten ein gütliches Auskommen dafür, dass sie den Konzernen oder Verbänden unter Nutzung ihres Adressbuches helfen, ihre Interessen ohne Umwege in die obersten Etagen der Politik ein- oder Themen auf die Agenda zu bringen.

In den letzten vier Jahren hatten Ex-Politiker, die die Seiten gewechselt haben, mehr als 500-mal Kontakt mit der Kanzlerin und der Regierung, wie Recherchen von abgeordnetenwatch.de und Zeit Online zeigen, die auf internen Unterlagen sowie auf Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen der Linkspartei basieren. Meist waren die Seitenwechsler dabei im Interesse von Konzernen oder Verbänden unterwegs, oder als freiberufliche Berater.

So auch der ehemalige Vizekanzler und Ex-Außenminister, der zwar im März 2018 noch gegenüber Bild erklärte: "Man soll nicht an Türen klopfen, hinter denen man selbst mal gesessen hat."

Doch genau das tat er kurz später offenkundlich. Im Interesse der Deutschen Bank putzte er selbst die Klinken des Kanzleramtes und bat Angela Merkel im April 2020 darum, sich auf EU-Ebene für die Aussetzung der Bankenabgabe stark zu machen, um der Kreditwirtschaft in der Corona-Pandemie zu helfen.

"Die heutige Eurogruppen-Sitzung könnte ein guter Anlass sein, diesen Weg zu prüfen", empfahl Gabriel in seiner Mail vom 9. April. Als Vorlage zur möglichst genauen Übernahme der Positionen hatte er ein Ideenpapier der Deutschen Bank dazu überreicht und betont: "Ich finde die Idee verantwortbar und hilfreich", so Gabriel. Dies geht aus internen Regierungsdokumenten hervor, die abgeordnetenwatch.de und Zeit Online über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erhalten haben.

Im Januar 2020 hatte sich Gabriel bereits mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) getroffen. Der Inhalt des Gesprächs unter Parteikollegen wird geheim gehalten. Rund fünf Monate später traf Gabriel Kanzleramtschef Helge Braun, dabei ging es um einen Entwurf des geplanten Arbeitsschutzkontroll-Gesetzes. Verwerflich seien diese Art von Treffen nicht, meint Gabriel. Er habe "keines dieser Gespräche im Auftrag oder gegen Bezahlung geführt", zitiert abgeordnetenwatch.de den Ex-Minister und fügt hinzu, dass Gabriel als Aufsichtsrat bei der Deutschen Bank im vergangenen Jahr 166.667 Euro erhielt.

Spitzenreiter Bahn-Chef Pofalla

Im Hinblick auf die Häufigkeit der Treffen wird Gabriel in der Tat von mehreren anderen CDU-Politikern weit übertroffen, allen voran von Ronald Pofalla (CDU), der inzwischen im Dienst der Deutschen Bahn steht und als Ex-Kanzleramtschef beste Kontakte nach ganz oben hat. Pofalla hatte in der vergangenen Legislaturperiode mindestens 143-mal einen Termin mit der Bundesregierung.

Steffen Kampeter, ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium, der heute im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) agiert, hatte 106-mal in den letzten vier Jahren eine Audienz, unter anderem traf sich der Arbeitgeber-Lobbyist mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Der ehemalige Kanzleramtsminister und heutige Daimler-Lobbyist Eckart von Klaeden ist bereits bekannt für seinen engen Draht zur Bundesregierung, 77 Termine hatte er in den letzten vier Jahren offiziell, und mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Thomas Bareiß (CDU), dann noch privat im "vertraulichen und gleichgesinnten Rahmen", wie es in einer Einladung heißt, die Bareiß an "Liebe Freunde" verschickte und die abgeordnetenwatch.de veröffentlichte.

Auch der frühere Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) nutzt sein Vitamin B offenbar so gut er kann und hat in seiner Tätigkeit für die Allianz Private Krankenversicherungs-AG im August 2018 seinen Amtsnachfolger Jens Spahn (CDU) besucht und das Anliegen des Konzerns an höchster Stelle vorgetragen. Dabei ging es laut abgeordnetenwatch.de unter Berufung auf Vorbereitungsunterlagen des Ministeriums um die Gesundheits-App des Start-ups Vivy, an dem die Allianz Versicherung die Mehrheit hält, die allerdings im Ministerium aufgrund von Datenschutzmängeln mit Vorbehalten behaftet war.

Bei Brigitte Zypries, der Ex-Wirtschaftsministerin, die nach Amtsende für den Bundesverband mittelständische Wirtschaft tätig ist, klingen die Besuche an ihrem früheren Arbeitsplatz beinahe wie ein Privatvergnügen zum Abschluss einer offenen Mission. Im September 2018 ging es bei einem Treffen mit einer Staatssekretärin um den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, bei mindestens drei weiteren Treffen sei es um verschiedene Themen gegangen, die man während ihrer Amtszeit "schon öfter ventiliert" hatte. Auf die Frage, ob sie an der Stelle einen Verband vertreten habe oder für ein Unternehmen vor Ort war, antwortete Zypries laut abgeordnetenwatch.de: "Ohne Auftrag, privates Interesse".

Zypries war von der 2015 eingeführten Karenzzeit betroffen, wonach ehemalige Minister und Parlamentarische Staatssekretäre einen geplanten Wechsel in die Wirtschaft oder freiberufliche Tätigkeiten innerhalb von 18 Monaten nach Ausscheiden aus der Regierung melden müssen. Die Regierung kann verhängen, dass bis zum Wechsel gewartet werden muss, wenn sie "öffentliche Interessen" beeinträchtigt sieht. Den von der SPD-Politikerin geplanten Wechsel in den Beirat der Software-Firma masterplan.com GmbH untersagte das Bundeskabinett für den Zeitraum von zwölf Monaten; auch beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft musste sie pausieren, sogar 15 Monate, bevor sie in den politischen Beirat einziehen durfte.

Karenzzeiten noch nicht gut umgesetzt 

Der sich mit politischem Einfluss und Machtstrukturen befassende gemeinnützige Verein LobbyControl zog in dieser Woche Bilanz ebenfalls der sich dem Ende nahenden Legislaturperiode und stellte den aktuellen Lobby-Bericht 2021 vor. Darin werden besonders skandalträchtige Seitenwechsel aufgeführt die zur Einführung der Karenzzeit geführt haben, darunter Ronald Pofalla (aus dem Kanzleramt zur DB AG), der ehemalige Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) der daraufhin Cheflobbyist beim Rüstungskonzern Rheinmetall wurde oder Eckart von Klaeden. Doch bewertet der Verein die Umsetzung des Gesetzes als meist als nicht streng genug, um Interessenkonflikte wirklich zu verhindern.

Demnach betra­fen die mit Abstand meisten Entscheidungen zu Karenzzeiten Sigmar Gabriel, der innerhalb eines Jahres nach Ausscheiden aus dem Amt schon neun neue Jobs anzeigte, bei denen seine frühere Tätigkeit als Wirtschaftsminister als direkte Vorlage gedient haben dürfte, so für den Verwaltungsrat des damals geplanten Gemeinschaftsunterneh­mens für Schienenfahrzeugbau der Firmen Siemens und Alstom, mit deren Angelegen­heiten er zuvor direkt befasst war. Die von der Bundesregierung verhängte Karenzzeit von zwölf Monaten sei unzureichend, so der Verein und zählt in dem Bericht weitere Beispiele auf.

Wie abgeordnetenwatch.de klarstellt, sei ein "kurzer Draht zur Bundesregierung freilich noch kein Garant dafür, dass ein Lobbyanliegen am Ende zum Erfolg führt. Das musste auch Sigmar Gabriel nach seinem Termin mit der Bundeskanzlerin erfahren. Die EU-Bankenabgabe wurde trotz seiner Intervention nicht ausgesetzt.

Vertrauen in Politik erodiert 

Diese Wahlperiode werde auch wegen beispielloser Lobby- und Korruptionsskandale in Erinnerung bleiben, so Imke Dierßen, Geschäftsführerin bei LobbyControl. Der Wirecard-Skandal, aber auch die Serie von Lobby­- und Korruptionsskandalen um Abgeordnete, insbesondere in der Maskenaffäre und Aserbaidschan-Connection, seien Musterbeispiele für einen unzureichend regulierten Lobbyismus.

Bei Wirecard war es einem Konzern gelungen, mit Hilfe eines Lobbynetzwerks aus ehemaligen Spitzenpolitikern und Spitzenbeamten, Einfluss auf die Bundesregierung zu nehmen, dort Unterstützung zu erreichen bis hin ins Kanzleramt.

"Besonders unerträglich sind die Skandale, für die Abgeordnete von CDU und CSU verantwortlich sind, nämlich die Maskenaffäre und die Seilschaften mit dem autokratischen Regime Aserbaidschans", so Dierßen. Diese Skandale hätten gezeigt, wie leicht es für Abgeordnete sei, ihre Stellung auszunutzen, um sich persönlich zu bereichern. Die Empörung vieler Bürgerinnen und Bürger darüber sei verständlich, allerdings sei häufig stark verallgemeinert worden, obwohl es viele Politiker gebe die integer seien: "Die Politik, alle Politiker*innen sind käuflich, sind korrupt und so weiter."

Doch es gelte, die bisherigen Regelungen anzupassen. Wirecard habe einmal mehr verdeutlicht, wie problematisch die Türöffner-Funktion ehemaliger Politiker nach einem Seitenwechsel sei.

Den prominenten Skandalen, wie auch der "erhöhten Sensibilität vor dem Hintergrund einer Krise des Vertrauens in demokratische Prozesse und des gesellschaftlichen Zusammenhalts" sei es geschuldet, dass die Debatte um die Problematik des Lobbyismus sich intensiviert habe.

Der Verein fordert von der kommenden Bundesregierung unter anderem eine Lobby­Fußspur für Gesetze sowie eine Reform der Parteien­ und Wahlkampffinanzierung, die dem Prinzip gleicher Einflusschancen aller Bürger Geltung verschaffen soll.

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