Europa

Ex-US-Offizier: Russen zielen nicht auf Zivilisten, aber in der Propaganda sind sie schwach

Ist die russische Militäroperation in der Ukraine ein Fehlschlag, wie unsere Medien schon behaupten? Der frühere US-Offizier Scott Ritter widerspricht. Das sei der schnellste Vormarsch der Geschichte, meint er, wobei versucht werde, nicht nur Zivilisten, sondern auch gegnerische Soldaten zu schonen.
Ex-US-Offizier: Russen zielen nicht auf Zivilisten, aber in der Propaganda sind sie schwachQuelle: Sputnik © Russian Defence Ministry

Glaubt man der Darstellung deutscher Medien, steht die russische Militäroperation in der Ukraine vor einem kolossalen Scheitern. Die Frankfurter Rundschau beruft sich beispielsweise auf den ehemaligen US-Generalleutnant Frederick B. Hodges, der meinte, die Führung im Kreml wolle mit schierer Masse von ihren eigenen Fehlern ablenken, und "ihre schlechte Planung, die miserable Logistik und die falsche Einschätzung der ukrainischen Kampfkraft" habe die russischen Streitkräfte in eine ausweglose Situation gebracht.

Die Tagesschau übernimmt gleich die ukrainischen Darstellungen und zitiert den Generalstab in Kiew, der behauptet, "der moralische und psychologische Zustand des Feindes bleibt extrem niedrig", und russische Truppen würden in Scharen desertieren.

Der Tagesspiegel will sich gar auf einen – von Bellingcat angeblich bestätigten – ungenannten FSB-Offizier berufen, der gesagt haben soll, der "Blitzkrieg" sei gescheitert und die russischen Ziele zu erreichen, sei sowieso unmöglich.

Ganz anders klingt die Einschätzung von Scott Ritter. Ritter begann als Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie, diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und nahm danach von 1991 bis 1998 als US-Vertreter an der UNSCOM-Mission teil, die Massenvernichtungswaffen im Irak kontrollieren sollte. Er ist einer jener Ex-US-Militärs, die nach Ende ihrer Dienstzeit eine sehr kritische Haltung der US-Politik gegenüber entwickelt haben und ist heute ein prominenter Gegner der Kriegspolitik.

Im Interview mit dem US-Comedian Lee Camp machte sich Ritter, der sich immerhin lange auch akademisch mit der sowjetischen Militärstrategie befasst hat, über diese Einschätzungen lustig: "Die Mainstreammedien behaupten, sie hätten das russische Strategiebuch, denn ich höre immer, dass dieser Einmarsch nicht nach Plan laufe. Wir sehen hier eine klassische Invasion entlang mehrerer Achsen, die versucht, die feindlichen Truppen zu fixieren, ihre Kommando- und Kontrollstruktur zu zerstören, sie einzukreisen und strategisch wichtige Punkte einzunehmen. Das Vordringen ist schneller als jenes im deutschen Blitzkrieg im zweiten Weltkrieg."

"Das ist ganz und gar nicht langsam, nein, das ist der schnellste Vormarsch der Geschichte."

Die ukrainische Armee habe 260.000 reguläre Soldaten, die nach NATO-Standards ausgebildet und ausgerüstet seien, mit einheitlichem Kommando und Kontrolle, und weitere 200.000 bis 300.000 Reservisten und Hilfstruppen. Dagegen stehe das russische Militär mit derzeit 190.000 bis 200.000 Mann [in der Ukraine].

"Normalerweise will man in einem militärischen Einsatz eine Übermacht von drei zu eins für die Offensive, die Russen kommen tatsächlich mit einem Nachteil von eins zu drei, eins zu vier. Aber nach den Daten letzter Woche haben sie einen Vorteil von eins zu sechs bei den Verlusten."

In den großen Schlachten des Zweiten Weltkrieges habe dieses Verhältnis zwischen Siegern und Verlierern bei 1 zu 1,2 oder 1,3 gelegen. Eins zu sechs, das sei eine absolute Niederlage.

Dennoch verzichte die russische Armee auf viele mögliche Vorteile. "Ich war wie alle anderen überrascht, als sie diese Offensive anfingen, geradezu mit einer auf den Rücken gebundenen Hand." Sie hätten die Möglichkeit gehabt, ukrainische Truppen in den Kasernen zu vernichten, aber darauf verzichtet, weil sie nicht nur möglichst wenig Zivilisten, sondern auch möglichst wenige ukrainische Soldaten töten wollten.

Die ukrainische Armee liefere einen soliden Kampf, aber sie verliere:

"Früher oder später wird man sehen, wie sie sich massenhaft ergeben, weil ihnen die Munition, das Essen, das Wasser oder das Benzin ausgehen, und sie vor der Wahl stehen, einen sinnlosen Widerstand aufzugeben oder zu sterben."

Ritter beschreibt die klassische russische Taktik so: "Den Ort bestimmen und dann mit massivem Feuer der Artillerie, aus Raketenwerfern und Mörsern auslöschen und danach wie mit der Dampfwalze darüber rollen." Diesmal habe die russische Armee auf den Vorteil der Feuerüberlegenheit verzichtet. "Wenn man so gegen eine feindliche Einheit auf bebautem Grund vorgeht oder in einer dicht besiedelten Vorstadt, dann führt das zum Tod Zehntausender von Zivilisten." Also werde nur dann Artillerie eingesetzt, wenn genaue Kenntnisse über Fähigkeiten und Lokalisierung des Gegners vorliegen.

Natürlich sei in einem Krieg nichts gewiss, und auch bei größten Bemühungen, die Lage zu erkunden, könnten die Erkenntnisse falsch sein oder die gewählte Munition habe nicht die richtige Wirkung.

"Wenn man das ein absichtliches Zielen auf Zivilisten seitens der Russen nennt, weicht man völlig ab von der Wirklichkeit."

Wenn Truppen in bewohnten Gebieten ständen, dann wäre es kein Kriegsverbrechen, sie auszuschalten.

Die wahre Schwäche der Russen läge im Bereich der Propaganda. Diese Art der Kriegsführung beherrsche der Westen dagegen perfekt. Die CIA sitze im ukrainischen Informationsministerium und habe völlig unter Kontrolle, was in Europa erzählt wird. Das sei eine verdeckte politische Aktion, die sogar die Genehmigung des US-Präsidenten benötige, weil schließlich nicht in Europa gelogen, in den USA aber die Wahrheit gesagt werden könne; der CIA aber eine Beeinflussung der Meinung in den USA strikt untersagt sei.

Die USA wüssten ganz genau, was sie in der Ukraine angerichtet hätten. Schließlich habe der damalige US-Botschafter in Moskau (und spätere CIA-Chef) William Burns schon im Februar 2009 in einem Memorandum geschrieben, eine Aufnahme der Ukraine in die NATO sei eine nachvollziehbare "rote Linie" für Russland. Werde die überschritten, dann werde Russland militärisch handeln, die Ukraine zerstören und die Krim und den Donbass holen.

Mit eben dieser Aussage stehen übrigens Scott Ritter und William Burns nicht alleine. In einem Kommentar auf MSNBC vom 4. März 2022 wird ein ehemaliger Direktor der Russland-Abteilung der CIA namens George Beebe zitiert, der sagte:

"Die Wahl, vor der wir in der Ukraine standen – und ich nutze absichtlich die Vergangenheitsform – war, ob Russland sein Veto zu einer NATO-Beteiligung in der Ukraine am Verhandlungstisch oder auf dem Schlachtfeld ausüben würde. Und wir entschieden uns, dafür zu sorgen, dass das Veto auf dem Schlachtfeld ausgeübt wird, in der Hoffnung, dass Putin sich entweder zurückhält oder der Militäreinsatz scheitert."

Anders als die deutsche Presse vermittelt die derzeitige Analyse von Scott Ritter allerdings keineswegs den Eindruck eines Scheiterns.

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