Nahost

Nach Verlegung des Khashoggi-Prozesses nach Saudi-Arabien: Erdoğan besucht Bin Salman

Erdoğan hat auf der geopolitischen Ebene in letzter Zeit zwischen Russland und den USA laviert. Entsprechend fährt die Türkei in der Region – je nachdem, wie sich die Lage entwickelt – eine Schaukelpolitik. Dabei hält sich das Land an keine klaren Regeln. Insofern ist auch Erdoğans Reise nach Riad kein diplomatisches Wunder.
Nach Verlegung des Khashoggi-Prozesses nach Saudi-Arabien: Erdoğan besucht Bin SalmanQuelle: AFP © SPA

von Seyed Alireza Mousavi

Die Türkei verfolgt keine klare Linie in der Außenpolitik. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat auf der geopolitischen Ebene in letzter Zeit relativ erfolgreich zwischen Russland und den USA  laviert. Der außenpolitische Kurs des Landes wird derzeit grundsätzlich von den aktuellen Entwicklungen in der Weltpolitik gesteuert.

Dementsprechend fährt die Türkei auch im Nahen Osten eine Schaukelpolitik, die sich an keine klaren Regeln hält – je nachdem, wie sich die Lage entwickelt. Während Erdoğan sich in letzter Zeit gern als Fürsprecher palästinensischer Anliegen in Szene gesetzt hat, traf er sich kürzlich in einem überraschenden Schritt mit dem israelischen Präsidenten Isaac Herzog. Der türkische Staatschef sprach angesichts des Besuchs seines israelischen Kollegen in Ankara gar von einem "Wendepunkt" in den Beziehungen beider Länder.

Insofern ist auch Erdoğans Reise nach Saudi-Arabien und sein Treffen mit dem Kronprinzen Mohammad Bin Salman am Freitag kein diplomatisches Wunder. Der Besuch belege den gemeinsamen Willen, eine neue Ära der Zusammenarbeit als zwei brüderliche Staaten zu starten, sagte der türkische Präsident am Donnerstag vor seiner Abreise nach Saudi-Arabien.

Seit 2013, als sich mit dem Putsch in Ägypten die Hoffnungen der Türkei zerschlagen hatten, in der islamischen Welt eine führende Rolle zu übernehmen, haben sich im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings die Beziehungen der Türkei zu konterrevolutionären Staaten wie Saudi-Arabien verschlechtert. Die Beziehungen zwischen Ankara und Riad erreichte dann 2018 einen Tiefpunkt. Denn im Oktober 2018 wurde der saudische Journalist Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul grausam ermordet.

Khashoggi hatte dort einen Termin zur Vorbereitung der Hochzeit mit seiner Verlobten, einer türkischen Staatsbürgerin. Der Mordfall hatte zu einer drastischen Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Türkei und Saudi-Arabien geführt. US-Geheimdienste sehen bis heute den Kronprinzen als Drahtzieher dieser Mordaktion. Schließlich war Khashoggi ein prominenter Kritiker von Bin Salman und pendelte seinerzeit zwischen den USA und der Türkei, wo er der Muslimbrüderschaft nahestand, einem von Erdoğan unterstützten Netzwerk im Nahen Osten. Den Mord empfand der türkische Präsident daher auch als persönlichen Affront.

Im Fall des 2018 ermordeten Khashoggi sprach sich die Staatsanwaltschaft in Istanbul allerdings kürzlich für eine Einstellung des dortigen Verfahrens aus. Der Prozess, in dem 26 Verdächtige aus Saudi-Arabien angeklagt waren, ist nun stattdessen nach Saudi-Arabien verlegt worden. Bereits vor zwei Jahren gab es in Saudi-Arabien einen Prozess, bei dem acht Personen wegen Mordes an Khashoggi verurteilt wurden. Menschenrechtsgruppen hatten damals allerdings erklärt, das sei nur ein Scheinprozess.

Mit der Verlegung des Khashoggi-Prozesses nach Saudi-Arabien wurde eigentlich die wichtigste Voraussetzung für Erdoğans Besuch in Riad erfüllt. Hinzu kommt im Hintergrund, dass der türkische Präsident seine langjährige Unterstützung für die Muslimbrüder in letzter Zeit immer weiter zurückgefahren hat. Im November empfing Erdoğan den Kronprinzen von Abu Dhabi, Muhammad bin Zayid Al Nahyan, in Ankara. Der Besuch einer hochrangigen türkischen Delegation in Kairo Anfang Mai 2021 hatte zuvor ebenfalls einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Türkei und Ägypten markiert.

Die türkische Landeswährung Lira verliert unterdessen weiter an Wert, die Inflation steigt, und damit die Unzufriedenheit der Bevölkerung. In Saudi-Arabien darf Erdoğan nun auf Zusagen für Investitionen und die Einstellung des inoffiziellen Boykotts türkischer Waren in dem Land hoffen. Saudische Unternehmer und Aktivisten hatten im Zuge der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Riad und Ankara 2020 zum Boykott türkischer Waren aufgerufen.

Die Muslimbruderschaft wurde in den vergangenen Jahren durch die ultrakonservativen Golfstaaten weitgehend geschwächt. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sind aktuell in erster Linie besorgt über den wachsenden Einfluss Irans, der sich auf ein Atomabkommen mit den USA zubewegt. Eine enge Zusammenarbeit der Türkei mit den arabischen Golfstaaten könnte eine neue Front gegen Iran öffnen, falls die US-Sanktionen gegen Teheran aufgehoben würden.

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