Nordamerika

Pentagon startet 334 Millionen Dollar teures Programm zur Entwicklung von Hyperschalldrohne "Mayhem"

Die Vereinigten Staaten arbeiten an mehreren Hyperschallprojekten gleichzeitig. Eines davon trägt den Namen Mayhem. Jedoch geht es bei diesem Programm nicht um die Entwicklung von Hyperschallwaffen, sondern um eine unbemannte Drohne mit einzigartigen Flugeigenschaften. Bei der Umsetzung des ehrgeizigen Projekts behilflich sein, soll dem US-Militär nun das US-Rüstungsunternehmen Leidos.
Pentagon startet 334 Millionen Dollar teures Programm zur Entwicklung von Hyperschalldrohne "Mayhem"© Leidos

Nach ihrem jüngsten erfolgreichen Test eines Hyperschall-Gleiters hat die US Air Force nun offenbar die Entwicklung einer unbemannten Hyperschalldrohne ins Auge gefasst. Das geht aus einer entsprechenden Bekanntmachung des US-Verteidigungsministeriums vom 16. Dezember hervor. Das ehrgeizige Projekt mit dem Namen "Mayhem" soll – wie meistens – nicht von der US Air Force, sondern stattdessen von dem US-Rüstungsunternehmen Leidos (ehemals Science Applications International Corporation: SAIC), das dafür vom Pentagon eigens bewilligte 334 Millionen US-Dollar für die Konzeption und Entwicklung einer ersten Hyperschalldrohne dieser Klasse erhalten soll.

Die Entscheidung zugunsten von Leidos fiel demnach neun Monate nach der förmlichen Veröffentlichung der Ausschreibung durch das Air Force Research Laboratory (AFRL). "Mayhem" ist Teil des AFRL-Programms "Expendable Hypersonic Multi-mission ISR (Intelligence, Surveillance, Reconnaissance) and Strike" (deutsch etwa: Einweg-Hyperschall-Mehrzweckgerät für Nachrichten, Überwachung, Aufklärung und Angriff) und soll laut den Plänen der Entwicklungsschmiede später einmal – falls die Umsetzung gelingt – höher und schneller fliegen, als alle bisherigen Aufklärungsflugzeuge. Noch in den 2010er Jahren waren Flugzeuge und unbemannte Flugkörper im Hyperschallbereich phantastische Konzepte, die auf dem Weg zur Realisierbarkeit vor zahlreichen ungelösten technologischen Herausforderungen standen. Seitdem sind jedoch zahlreiche weitere Fortschritte bei der Entwicklung von Technologien erzielt worden, die für das Konzipieren von modernen Hyperschall-Kampfsystemen erforderlich sind.

Angesichts dieser technologischen Fortschritte gehen die meisten Analysten davon aus, dass bereits Ende dieses Jahrzehnts weltweit zahlreiche Waffen und Überwachungsplattformen mit Geschwindigkeiten im Hyperschallbereich im Einsatz sein werden. Derzeit findet ein weltweiter Rüstungswettlauf statt, in den nun auch Leidos eingestiegen ist. Sollte dem Unternehmen die Umsetzung des Auftrags gelingen, so könnte die Hyperschalldrohne "Mayhem" dem US-Militär später einmal Überwachungsfähigkeiten bieten, die den USA seit der Ausmusterung der SR-71 im Jahr 1998/1999 verwehrt gewesen waren. Denn seit der Ausmusterung des mit drei Mach (dreifache Schallgeschwindigkeit) fliegenden Aufklärungsflugzeugs leidet die US Air Force unter einem kritischen blinden Fleck, zumindest wenn es um luftgestützte Langstreckenüberwachungsoperationen geht. Ein Großteil dieser Lücke konnte im Laufe der letzten Jahre zwar durch eine wachsende Zahl von Überwachungssatelliten geschlossen werden. Bei gezielten Überwachungsaktivitäten stoßen diese jedoch noch immer an ihre Grenzen.

Bereits in den 1950er Jahren wurden solche Überwachungsoperationen von dem berüchtigten Spionageflugzeug U2 von Lockheed geflogen, bis eines dieser Flugzeuge am 1. Mai 1960 über der Sowjetunion abgeschossen wurde. Die CIA füllte einige Lücken mit der A-12 Oxcart und mit dem Nachfolger  Blackbird SR-71 von Lockheed, die beide schneller als drei Mach und in über 85.000 Fuß (etwa 26 km) Höhe fliegen konnten und auch Stealth-Fähigkeiten erprobten. Allerdings mussten beide Flugzeugtypen weiterhin von Menschen gesteuert werden, was das Risiko eines weiteren Zwischenfalls wie des Abschusses von Gary Powers mit seiner U-2 im Jahr 1960 erhöhte. Im Erfolgsfall wird die Hyperschalldrohne Mayhem diese Überwachungslücke nun jedoch endgültig schließen. Neben der Fähigkeit, deutlich schneller (mindestens fünf Mach) und höher als die A-12 oder die SR-71 zu fliegen, muss die Drohne – im Gegensatz zu ihren Vorgängern – zudem auch unbemannt steuerbar sein. 

"Das von Leidos zusammengestellte Team verbindet außergewöhnliche Erfahrung mit Innovation", wird Mayhem-Programmmanager Ryan Leo in einer separaten Pressemitteilung des Konzerns zitiert. "Wir arbeiten mit den besten nationalen Anbietern von Lösungen für Hyperschall-Flugzeug- und Antriebstechnologien zusammen … Wir sind stolz darauf, einen Beitrag zu dieser wichtigen nationalen Sicherheitsmission zu leisten." Der erste Teil der bewilligten AFRL-Mittel in Höhe von insgesamt 24 Millionen Dollar ist demnach für die Überprüfung der Systemanforderungen und die Überprüfung des konzeptionellen Designs in einer digitalen Entwicklungsumgebung vorgesehen. Die Drohne soll den Angaben zufolge nun so konfiguriert werden, dass sie eine von zwei verschiedenen Arten von Nutzlasten für Angriffsmissionen oder ein Sensorpaket tragen kann, um "reaktionsfähige" Nachrichten-, Überwachungs- und Aufklärungseinsätze durchführen zu können.

"Das Mayhem-Programm konzentriert sich auf die Bereitstellung eines [für den Antrieb] luft-basierten Hyperschallsystems größerer Klasse, das in der Lage ist, mehrere Missionen mit einer standardisierten Nutzlastschnittstelle auszuführen, und das einen bedeutenden technologischen Fortschritt und zukünftige Fähigkeiten bietet", heißt es im zugehörigen Vertragsdokument. "Das Ziel des Systems ist es, Nutzlasten mit der fünffachen Masse und der doppelten Reichweite im Vergleich zu den derzeitigen technologischen Systemen zu befördern. Die standardisierte Nutzlastschnittstelle würde mehrere Möglichkeiten für die Integration verschiedener Nutzlasten innerhalb desselben Hyperschallsystems schaffen."

Es war zwar bekannt, dass die US Air Force an dem Mayhem-Fluggerät interessiert war, das zumindest eine von drei geplanten Nutzlasten tragen kann, doch wurden bisher keine weiteren Informationen darüber gegeben, um welche Nutzlasten es sich handeln solle. In dem Vertragsdokument werden sie nun jedoch als "Nutzlast mit Flächenwirkung", als "große einheitliche Nutzlast" und als "reaktionsfähige Nutzlast für Nachrichten, Überwachung und Aufklärung" bezeichnet. Interessanterweise sind diese grundlegenden Nutzlastbeschreibungen alle als "Controlled Unclassified Information" (CUI) gekennzeichnet. Zwar sind diese Pflichtenheft-Bestandteile technisch gesehen nicht klassifiziert, allerdings werden Informationen, die in die CUI-Kategorie fallen, interessanterweise sonst in öffentlich zugänglichen Dokumenten der US-Regierung häufig geschwärzt.

Über diese drei Nutzlastkategorien hinaus werden allerdings keine weiteren Einzelheiten genannt, woran die US Air Force genau interessiert sei. Die Tatsache, dass der Wunsch nach unterschiedlichen Typen mit "Flächenwirkung" und "großen Einzelkörpern" besteht, deutet jedoch stark darauf hin, dass die erste Kategorie eine Nutzlast aus Streumunition oder etwas Ähnlichem vorsieht – etwa einen Schwarm kleinerer Drohnen. Ein fortschrittlicher hochexplosiver Splittergefechtskopf würde ebenfalls eine "Flächenwirkung" erzielen, wäre aber eine Einzelkonstruktion. Gleichzeitig könnte der Begriff "große einheitliche Sprengköpfe" auch größere Sprengköpfe umfassen, die für verschiedene Arten von Wirkungen gegen einzelne Ziele ausgelegt sind, wie etwa hohe Durchschlagsfähigkeit für den Einsatz gegen Bunker und andere befestigte Einrichtungen. 

Neben der Hyperschall-Fähigkeit (über fünf Mach) liegen über weitere Anforderungen an die Konstruktion des Mayhem-Luftfahrzeugs derzeit nur wenige Informationen vor. Allerdings hat die US Air Force bereits bestätigt, dass das Projekt mit der Erforschung und Entwicklung "fortschrittlicher Scramjet-Antriebstechnologien" und "mehrtaktiger" Triebwerkskonstruktionen verbunden ist. Diese Ankündigung scheint auf die Arbeit an turbinenbasierten kombinierten Zyklen (TBCC) oder Dual-Mode-Scramjet-Triebwerken hinzuweisen.

Der Grundgedanke hinter diesen Triebwerkskonstruktionen besteht darin, die Tatsache zu umgehen, dass sowohl Scramjets als auch Staustrahltriebwerke bei niedrigeren Geschwindigkeiten nicht hinreichend wirkungsvoll arbeiten, da sie in der Regel einen Anfangsschub auf genügend hohe Geschwindigkeiten benötigen. Dieser Schub wird häufig durch einen Raketenantrieb bereitgestellt, um sie zunächst auf eine für das eigene Antriebssystem geeignete Geschwindigkeit zu beschleunigen. Die Kopplung vom Scramjet mit herkömmlichen Düsenturbinen würde es einem Flugkörper hingegen ermöglichen, diesen unteren Geschwindigkeitsbereich zuverlässig bis zum Hyperschall-Bereich zu überwinden. 

Bei der Anwendung auf ein wiederverwendbares bemanntes oder unbemanntes Fluggerät würde diese Triebwerkskonfiguration zumindest theoretisch eine Konstruktion ermöglichen, die während des mittleren Flugabschnitts eines Einsatzes mit Hyperschallgeschwindigkeit fliegen, aber anfangs und später auch wie ein herkömmliches Flugzeug unter Nutzung der vorhandenen Landebahninfrastruktur starten und landen kann. Dies ist eine Vision, die seit Langem als heiliger Gral für ein brauchbares Hyperschallflugzeug angesehen wird.

Leidos soll sich nun auf den Entwurf und die Entwicklung eines Prototyps der Hyperschalldrohne im Maßstab 1:1 konzentrieren, der "die derzeitigen luftatmenden Systeme in Bezug auf Reichweite und Nutzlastkapazität übertrifft", wobei digitale Konstruktionssoftware und Designtools eingesetzt werden sollen, "um die künftige Entwicklung und den Übergang zu unterstützen". Genauere Details darüber hinaus zu dem ehrgeizigen Projekt sind allerdings bisher nicht bekannt. Eine erste mit der Pressemitteilung veröffentliche Darstellung der Drohne zeigt jedoch ein unbemanntes Hyperschallflugzeug mit einem einzigen Triebwerk, das für die Verbrennung des Treibstoffs mit Luft aus einem großen Einlass unter dem Rumpf gespeist wird. Der Rumpf ist relativ lang und schlank und hat eine Delta-Flügel-Konfiguration mit einem einzelnen Seitenleitwerk. Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um ein erstes künstlerisches Konzept, weshalb sich das reale Design in den nächsten sechs Jahren noch erheblich ändern kann.

Es ist natürlich möglich, dass das anfängliche experimentelle Design von Mayhem für Tests verwendet wird, die dann zu einem funktionsfähigen Hyperschallflugzeug mit einem fortschrittlichen Multimode-Antriebssystem führen könnten. Zunächst bleibt noch unklar, ob die im Rahmen dieses Programms entwickelten Flugkörper – bereits in der Anfangsphase – als Flugzeuge vorgesehen sind oder nicht. In der Vergangenheit hat das Pentagon Mayhem bisweilen schon als ein Projekt beschrieben, das irgendwo zwischen einem luftatmenden Hyperschallflugkörper und einem vollwertigen Hyperschallflugzeug liegt.

"Bei dem Projekt Mayhem geht es um die Frage: Was können wir tun, um ein viel größeres System zu bauen, das mehr Wirkung bei größerer Reichweite erzielt", erklärte der im US-Verteidigungsministerium für die Entwicklung neuester Hyperschall-Systeme verantwortliche Michael White 2021 während eines Interviews mit dem Center for Strategic and International Studies, einer in Washington, D.C. beheimateten Denkfabrik. "Es geht also wirklich um diese Art der Entwicklung von Fähigkeiten, die man mit einer hocheffizienten luftatmenden Plattform – einer Plattform als Waffenträger – erreichen kann, und um das Benutzen dieser Effizienz, aber auch um die Erweiterung der Reichweite auf signifikant größere Reichweiten als das, was wir heute tun."

Diese Andeutung scheint der Präsident von Leidos Steve Cook in einer separaten Mitteilung des Unternehmens nun zu bestätigten. "Um die nächste Generation von luftatmenden Hyperschallsystemen zu liefern, werden wir unsere jahrelangen Investitionen, unser Wissen und unseren Erfolg im Hyperschallbereich nutzen", versprach Cook. "Unser Team ist darauf vorbereitet, diese wichtige Mission für unsere Nation zu übernehmen." Um die von der US Air Force vorgegebenen Ziele zu erreichen, will das Unternehmen in den kommenden Jahren laut eigener Aussage mit führenden Vertretern aus Industrie und Wissenschaft zusammenarbeiten, darunter unter anderem die Rüstungsunternehmen Calspan, dem Draper Laboratory (MIT) sowie der Kratos Defense & Security Solutions, Inc.

Dieses Team, heißt es in der Mitteilung weiter, soll "Partnerschaften zwischen der Regierung, der Industrie und der akademischen Welt schmieden" – mit dem ausdrücklichen Ziel, die Spitzenforschung und -entwicklung zu liefern, die erforderlich sind, um "ein produktionsreifes technisches Datenpaket zur Herstellung von Prototypen zu entwerfen und vorzubereiten". Die Arbeiten am Projekt "Mayhem" sollen bis zum 15. Oktober 2028 fertiggestellt sein.

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