Meinung

Die Olympiade der Salatköpfe: Großbritannien nach Liz Truss

Wer erst bei den anstehenden Nachwahlen zum US-Kongress die ersten politischen Brucherscheinungen im Westen erwartet hatte, wurde durch den schnellen Rücktritt der noch neuen britischen Premierministerin Liz Truss überrascht. Aber dieser Rücktritt dürfte höchstens eine Scheinlösung liefern.
Die Olympiade der Salatköpfe: Großbritannien nach Liz TrussQuelle: www.globallookpress.com © P. Royer

Von Dagmar Henn

Die gestern zurückgetretene britische Premierministerin Liz Truss war schon davor das Ziel vieler Witze im Internet, aber seit gestern überschlagen sich die Einfälle. Begonnen mit der Tatsache, dass bereits vor einigen Tagen eine Tageszeitung einen Wettbewerb zwischen einem Salatkopf, dessen Haltbarkeit auf zehn Tage geschätzt wurde, und Truss als Premierministerin eröffnet wurde, unter der Überschrift "Wer hält länger". Dieser Witz wurde so populär, dass irgendjemand gestern Nacht nach ihrem Rücktritt das Bild eines Salatkopfes auf den Sitz des britischen Parlaments projizierte. Nicht nur ihre rekordverdächtig kurze Zeit im Amt wurde belacht, es gab auch Kurzbilanzen, die ihre bemerkenswerten Leistungen betonten. Immerhin habe sie es in nur 45 Tagen geschafft, eine Königin zu beerdigen, das Pfund zum Absturz zu bringen und die konservative Partei zu zerstören …

Auf jeden Fall steht fest, dass bei dieser Mini-Kopie der "Eisernen Lady" Maggie Thatcher, als die sie sich immer sah (und die sie in Kleidung, Sprechweise und Handtasche kopierte), der Rostschutz vergessen wurde und die Korrosion mit atemberaubender Geschwindigkeit ablief. Der Hintergrund war allerdings ein weiteres ungewöhnliches Ereignis, im Grunde eine Umkehrung der, auch in Deutschland, allgemein so gepriesenen Unabhängigkeit der Zentralbanken – die Intrige, Truss zu stürzen, ging von der Bank of England aus, und das ist noch weit seltener als die Auswechslung eines Premiers.

Das Vorspiel dazu war ein Mini-Budget ihres Finanzministers Kwasi Kwarteng, das Steuersenkungen für Wohlhabende und Subventionen der Energiepreise für den Rest enthielt. Auf diesen Vorschlag hin stiegen die Zinsen auf britische Staatsanleihen (Gilts), was eigentlich nur bedeutet, dass die Käufer derselben der Meinung sind, dieser Haushalt sei nicht sicher finanziert. Dieser Zinsanstieg brachte eine Reihe von britischen Pensionsfonds in Schwierigkeiten und sorgte dafür, dass der Kurs des britischen Pfunds fiel. Daraufhin begann die Bank of England, die erst kurz zuvor die Leitzinsen erhöht und den Kauf von Gilts eingestellt hatte, zwei Wochen lang wieder Papiere aufzukaufen, allerdings nur bis Freitag vergangene Woche und der expliziten Warnung an die Pensionsfonds, sie hätten bis zu diesem Datum Zeit, ihre Portfolios entsprechend zu bereinigen. Als sie diese Maßnahme – entgegen der allgemeinen Erwartung übrigens – nicht weiter verlängerte, musste Kwarteng gehen, aber ab diesem Zeitpunkt war auch Truss so angezählt, dass mit ihrem baldigen Rücktritt gerechnet wurde.

Die Zinserhöhung der Bank of England hatte denselben Hintergrund wie die Zinserhöhung der EZB, nämlich die deutlich angestiegene Inflation. Die, nebenbei bemerkt, deutlich höher läge, wenn sie noch auf die Weise erfasst würde, wie das in der letzten inflationären Phase des Westens üblich gewesen war, zu Beginn der 1980er. Mittlerweile wird das sogenannte hedonistische Verfahren verwendet, das mit dem Argument, die Kunden kauften dann die Güter des täglichen Bedarfs in einer billigeren Version, oder eben bei Aldi und nicht bei Edeka, herunterrechnet. Auch die Zusammensetzung des Warenkorbs, auf dessen Grundlage die Inflationsrate ermittelt wird, ist ein Ansatzpunkt für solche Manipulationen; man kann also durchaus davon ausgehen, dass die wirkliche Rate deutlich über den offiziellen zehn Prozent liegt.

Und was steckt hinter der Inflation? Natürlich die Energie- bzw. Sanktionskrise, die den massiven Anstieg der Energiepreise verursacht hat (begleitet von der Spekulation, die hier, wie bei Nahrungsmitteln auch, nach Aussage der UNCTAD für die Hälfte des Anstiegs verantwortlich ist). Und da beginnt das Dilemma, das dafür sorgt, dass das Amt des britischen Premiers – so wie alle vergleichbaren Ämter im Westen – augenblicklich nicht nur ein unsicherer, sondern zusätzlich noch ein nicht übermäßig begehrter Job ist, auch wenn bei den britischen Buchmachern längst die Wetten laufen, wer nun Truss ins Amt folgen wird.

Denn die einzige Möglichkeit, die ökonomische Krise auch nur ansatzweise zu lösen, die Großbritannien wie die EU erfasst hat, bestünde in der Aufhebung der Sanktionen. Das allerdings beabsichtigt keiner der denkbaren Kandidaten. Und die britischen Wähler, die erst einmal nicht gefragt werden, weil das Amt abermals durch eine Wahl der Mitglieder der Konservativen besetzt werden wird, können sich nicht einmal dann Hoffnungen auf Veränderung an diesem entscheidenden Punkt machen, sollte es zu Neuwahlen kommen. Auch die britische Labour-Party steht hinter der Sanktionspolitik und hat sich in den vergangenen Monaten explizit darum bemüht, ihre Reihen von all jenen zu säubern, die das nicht tun.

Mehr noch – in den vergangenen Monaten war es die britische Regierung, die den Konflikt mit Russland gezielt vorangetrieben hat. Sei es Boris Johnson, der im Frühjahr persönlich dafür sorgte, dass die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul scheiterten, oder eben Truss mit ihrer euphorischen Zusicherung auf einer ihrer Wahlveranstaltungen innerhalb der konservativen Partei vor Amtsantritt, sie werde auf den roten Knopf drücken, ganz sicher werde sie das. Briten werden neben Polen auch als Erste genannt, wenn es um auf Seiten der Ukraine kämpfende Söldner geht; es ist noch nicht allzu lange her, dass zwei von ihnen durch einen Gefangenenaustausch vor der Hinrichtung in Donezk bewahrt wurden.

Beobachter wie Alexander Mercouris von The Duran gehen davon aus, dass, gleich, wer bei den Konservativen "gewinnt", das höchstens eine Zwischenlösung sein wird, da die Bank of England vermutlich auf einen Wechsel der regierenden Partei setzt. Das ergibt in gewisser Weise auch Sinn, weil eine Labour-Regierung die Gewerkschaften eher ruhigstellen kann, die in den letzten Monaten schon mehrere größere Streiks organisiert hatten. Aber selbst eine Labour-Regierung kann nichts an der Verarmung ändern, die infolge der hohen Strom- und Gaskosten breite Teile der Bevölkerung erfasst, und nichts an der Verärgerung, für die es sorgen dürfte, dass beispielsweise über 70 Prozent der britischen Pubs angekündigt haben, dauerhaft zu schließen. Ebenso wenig kann sie die divergierenden Tendenzen in Großbritannien unterdrücken, die sich im Aufleben der Forderung nach schottischer Unabhängigkeit ebenso äußern wie in nordirischen Wünschen, sich an die Republik anzuschließen.

Das Rückgrat, sich gegen die Erwartungen der Londoner City durchzusetzen, hat keine einzige Person des angebotenen Tableaus, weder bei den Konservativen noch bei Labour, also wird jede Abweichung vom NATO-Kurs unterbleiben. Am Ende werden die Briten feststellen, dass sie nur einen Salatkopf gegen einen anderen getauscht haben.

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