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Ein Jahr nach dem Anschlag in Wien: Opferanwälte kritisieren den Staat

Vor genau einem Jahr erschießt ein 20-Jähriger in Wien vier Menschen und verletzt Dutzende weitere. Der Attentäter hatte Verbindungen zur Islamistenszene – auch in Deutschland. Laut Ermittlern handelte er in der Tatnacht jedoch ohne Helfer. Opferanwälte üben scharfe Kritik am Staat.
Ein Jahr nach dem Anschlag in Wien: Opferanwälte kritisieren den StaatQuelle: AFP © Georg Hochmuth / APA

Am 2. November 2020 kurz vor 20 Uhr eröffnet Kujtim F. in einem beliebten Ausgehviertel, dem sogenannten "Bermudadreieck", im Zentrum Wiens das Feuer. Er hat ein Kalaschnikow-Gewehr und eine Pistole der Marke Tokarew bei sich. Der 20-jährige Islamist schießt wahllos auf Passanten. Vier Menschen sterben, 38 werden verletzt, von denen 23 im Krankenhaus behandelt werden müssen. Rund zehn Minuten nach dem ersten Schuss wird der Attentäter von der Polizei getötet.

Zum Jahrestag der Terrorattacke in Wien haben Opferanwälte vom Staat Österreich Entschuldigungen und das Eingeständnis von Ermittlungspannen gefordert. Anwalt Lukas Bittighofer sagte der Nachrichtenagentur dpa:

"Wir sehen eindeutige Verfehlungen bei den Behörden."

Er vertritt die Mutter der damals 24-jährigen deutschen Studentin, die bei dem Attentat erschossen wurde. Sie war das zweite Opfer. Zuvor hatte Kujtim F. einen Albaner nordmazedonischer Abstammung getötet. Der Attentäter selbst hatte neben der österreichischen auch die nordmazedonische Staatsbürgerschaft und war ebenfalls albanischer Abstammung. Er tötete zudem eine weitere Frau, die er zuvor angeschossen hat. Schließlich erschoss er den Besitzer eines chinesischen Restaurants.

Am Dienstag stand die österreichische Hauptstadt im Zeichen von Gedenkfeiern für die Todesopfer und die Verletzten. Unter den Verwundeten waren drei deutsche Männer.

Der Attentäter hatte bis Ende 2019 eine Haftstrafe verbüßt, weil er versucht hatte, 2018 nach Syrien auszureisen und sich der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) anzuschließen. Eine Untersuchungskommission stellte inzwischen Pannen im Vorfeld der Terrorattacke fest. Den Ermittlern sei etwa ein Treffen des späteren Attentäters mit anderen Islamisten aus der Schweiz und Deutschland im Juli 2020 in Wien bekannt gewesen. Zudem hatte Kujtim F. versucht, in der Slowakei Munition zu kaufen. Dabei wurde die slowakische Polizei auf ihn aufmerksam. Die Staatsanwaltschaft wurde jedoch nicht informiert. Wenige Tage nach der Tat bestätigte der österreichische Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), dass die Slowakei Österreich darüber auch informiert habe. Er ergänzte jedoch: "In den weiteren Schritten ist hier offensichtlich in der Kommunikation etwas schiefgegangen."

Vor wenigen Tagen erklärten die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nina Bussek, sowie der leitende Polizeiermittler Michael Lohnegger bei einer Pressekonferenz in Wien, dass die bisherigen Ermittlungen bestätigt hätten, dass der 20-Jährige in der Tatnacht ohne Helfer rund sieben Kilometer zu Fuß von seiner Wohnung zum späteren Tatort in die Wiener Innenstadt gekommen war. Der Terrorist habe allein geschossen, hieß es auf der Pressekonferenz weiter.

Drei Personen sollen ihn beim Waffenkauf unterstützt haben und möglicherweise Mitwisser des Anschlags gewesen sein. Laut einem Bericht der österreichischen Zeitung Der Standard soll der spätere Attentäter über die Gefängniskontakte eines Freundes, eines 31-jährigen Tschetschenen, an die Waffe gelangt sein. Sie soll von einem Slowenen stammen. Einem Bericht der Tageszeitung Kurier zufolge soll Kujtim F. zwischen 2.000 und 2.500 Euro für das Sturmgewehr bezahlt haben. Der Tschetschene, der den Deal vermittelt hatte, erhielt demnach 500 Euro Provision. Er bestreitet jedoch, von den Terrorplänen des 20-Jährigen gewusst zu haben.

Vier weitere Männer stehen unter Verdacht, ihn in seinen Plänen psychologisch bestärkt zu haben. Bussek erklärte: "Sie sind dem IS zuzuordnen und stehen in Verbindung mit terroristischen Netzwerken." Den sieben Verdächtigen, die in Untersuchungshaft sitzen, drohen im Falle einer Anklage und Verurteilung zwischen zehn Jahre und lebenslänglicher Haft, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft weiter erklärte.

Seitens der Opposition in Österreich gab es zuletzt Kritik am Umgang der Regierung mit dem Anschlag. Die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner forderte eine Reform des Verbrechensopfergesetzes in Österreich, um den Opfern von Terroranschlägen rasch und unbürokratisch helfen zu können. Die FPÖ forderte derweil "eine ernst gemeinte Aufarbeitung der Fehler des Innenministers sowie der Verantwortlichen im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT)".

Ende September richtete die Regierung in Wien einen Entschädigungsfonds mit 2,2 Millionen Euro für Terroropfer ein. Das reiche aber nicht, sagte Anwalt Karl Newole, der auch Deutsche Opfer vertritt. "Niemand hat gesagt: Es tut uns leid." Die Regierung habe keine Empathie gezeigt. Kritik von den Hinterbliebenen kam auch an ausbleibender psychologischer Unterstützung seitens der verantwortlichen Behörden.

Der Terroranschlag wühlt Österreich bis heute auf. Wie Der Standard berichtet, sehen laut einer Umfrage 6 Prozent der Bevölkerung eine sehr große und weitere 28 Prozent eine immerhin große Gefahr, "dass es in Österreich wieder zu einem Terroranschlag kommt". Wie es weiter im Bericht heißt, würde die Gefährdungslage von sehr jungen Befragten und von solchen, die kleine Kinder im Haushalt hätten, ernster eingeschätzt als von anderen.

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