Lateinamerika

Können die BRICS in Argentinien ein Desaster abwenden?

Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas könnte ein wichtiger Teil der multipolaren Welt werden – und gleichzeitig ihre eigene Krise lösen. Auf dem Weg dorthin sind jedoch einige Hindernisse zu bewältigen, nicht zuletzt die anstehenden Wahlen, die US-treue Kräfte an die Macht schwemmen könnten.
Können die BRICS in Argentinien ein Desaster abwenden?Quelle: AFP © Handout des argentinischen Präsidialamtes

Von Oliver Vargas

Argentinien hat vor kurzem angekündigt, dass es im Handel mit dem asiatischen Riesen China den chinesischen Yuan anstelle des US-Dollars einführen werde – die jüngste Entwicklung in einem umfassenderen globalen Prozess der Entdollarisierung des Welthandels.

Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, wo Argentinien darauf drängt, der Gruppe der BRICS-Staaten offiziell beizutreten. Dafür hat das Land nach eigenen Angaben die Unterstützung Brasiliens und Indiens, Russland und China hatten in der Vergangenheit ebenfalls eine mögliche Unterstützung angedeutet. Argentinien ist die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas und verfügt über beträchtliches Potenzial, einen Beitrag zu den BRICS zu leisten. Das Land befindet sich jedoch auch in einer zunehmend extremen Wirtschaftskrise, mit einer galoppierenden Inflation, die jede Woche neue Höchststände erreicht.

Kann ein multipolares Finanzsystem angeschlagenen Volkswirtschaften wie Argentinien helfen? Können die Abkehr vom Dollar und die Mitgliedschaft bei den BRICS das Land vor einer möglichen Katastrophe bewahren? Ja. Aber nur, wenn Argentinien aufhört, bei seinen wirtschaftlichen und außenpolitischen Entscheidungen hin und her zu schwanken.

Dollarabhängigkeit als Quelle der wirtschaftlichen Probleme Argentiniens

Die wirtschaftlichen Turbulenzen in Argentinien haben ein verzweifeltes Ausmaß erreicht, das auf die Knechtung durch die Schulden beim Internationalen Währungsfonds, den fehlenden Zugang zu Dollars und eine historische Dürre zurückzuführen ist, die den wichtigen Agrarexporten zugesetzt hat. Während der offizielle Wechselkurs zum US-Dollar 222 Pesos für 1 USD beträgt, erreichte der "Dollar Blue", der inoffizielle Kurs, der auf dem Schwarzmarkt angeboten wird, in den letzten Tagen bis zu 500 Pesos. Zum Vergleich: Im Jahr 2014, unter der linksgerichteten Präsidentin Cristina Kirchner, lag der offizielle Kurs bei 8 Pesos für 1 US-Dollar, der inoffizielle bei 12–14 USD.

Die jährliche Inflation erreicht Höchstwerte von 104 Prozent, und die Argentinier haben versucht, dagegen anzukämpfen, indem sie ihre Ersparnisse in US-Dollar und sogar in Kryptowährungen angelegt haben. Doch der Kryptomarkt ist nicht mehr so optimistisch wie noch vor ein paar Jahren, und die Zinserhöhungen der Fed sowie Spekulationen innerhalb Argentiniens haben den Zugang zum Dollar sehr schwierig und teuer gemacht. Noch gravierender ist, dass die kolossalen Schulden, die das Land beim IWF angehäuft hat, auf Dollar lauten.

Die argentinische Wirtschaftswissenschaftlerin Gisela Cernadas, die jetzt in China für Dongsheng News arbeitet, sprach exklusiv mit RT und erklärte die gefährliche Situation, die durch die Abhängigkeit vom Dollar verursacht wird:

"Argentinien leidet seit längerer Zeit unter einer strukturell unausgeglichenen Leistungsbilanz. Das bedeutet, dass das Land mehr US-Dollar braucht, um zu funktionieren, als es hat. Um seine Produktionstätigkeit ausüben zu können, benötigt Argentinien unmittelbare Inputs, die importiert werden müssen, wie Maschinen und Ausrüstungen, die in Dollar importiert werden müssen. Je mehr Argentinien also produzieren will, desto mehr US-Dollar braucht es. Diese strukturell unausgeglichene Leistungsbilanz übt folglich Druck auf den Devisenmarkt aus."

Bessere Zeiten in Sicht?

In diesem Zusammenhang ist der Schritt, den Handel mit China zu entdollarisieren, eindeutig positiv zu werten, da er den Würgegriff des US-Dollars auf das Land lockert. Er wird auch dazu beitragen, die Währungsreserven der Zentralbanken zu schützen.

"Wenn ein Teil der Importe aus China mit chinesischer Währung statt mit dem US-Dollar bezahlt wird, wird das den Druck auf das Leistungsbilanzdefizit verringern", so Cernadas. "Es wird zwar nicht das strukturelle Problem lösen, dass das Land mehr Devisen benötigt, um zu produzieren und seine produktiven Aktivitäten durchzuführen. Aber es wird zumindest einen Teil der Nachfrage lindern."

Die Wirtschaftswissenschaftlerin weist darauf hin, dass Argentinien und China im Jahr 2021 ein Handelsvolumen von 20 Mrd. USD gegenüber einem Defizit von 7,4 Mrd. USD aufwiesen. Das Abkommen mit Peking würde also definitiv dazu beitragen, die angespannte Situation und die Defizite in US-Dollar zu mildern.

Die Umstellung auf den Yuan im Handel mit China ist bereits Realität. Laut dem argentinischen Minister für Wirtschaft und Arbeit, Sergio Massa, wird der Handel im Wert von über 1 Milliarde Dollar auf Yuan umgestellt. Die Vorteile eines solchen Schrittes und der Integration der argentinischen Wirtschaft in die der BRICS-Länder sind unbestreitbar. Eine Schwächung der von den USA dominierten Finanzinstitutionen wie dem IWF, dessen Opfer die Argentinier sind, ist ebenfalls unbestreitbar. Doch ist das realisierbar?

Die Vereinbarung mit China zeigt das Engagement der Regierung für ein multipolares Finanzsystem. Die politischen Unruhen im Land bedeuten jedoch, dass sich der Prozess als sehr schwierig erweisen könnte, selbst bei einer Mitgliedschaft in der BRICS.

Scheitert der Beitritt zu den BRICS an den anstehenden Wahlen?

Der derzeitige Präsident, Alberto Fernández, reiste kurz vor dem russischen Militäreinsatz in der Ukraine nach Russland und China. Er machte deutlich, dass Argentinien Teil einer multipolaren Welt sein wolle, in der Russland und China eine entscheidende Rolle spielen. Seitdem hat er sich hinsichtlich seiner Beziehungen zu Russland nicht eindeutig geäußert, im Gegensatz zu den Regierungen von Brasilien, Venezuela, Kuba, Nicaragua und Bolivien, die sich alle vor einigen Wochen mit Außenminister Sergei Lawrow auf seiner Lateinamerikareise getroffen haben.

Darüber hinaus, und das ist vielleicht das Wichtigste, werden in Argentinien im Oktober Präsidentschaftswahlen abgehalten, die die politische Landschaft des Landes dramatisch verändern könnten.

Präsident Fernández hat bereits angekündigt, dass er nicht zur Wiederwahl antreten wird. Die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landes macht es ohnehin unwahrscheinlich, dass er oder einer seiner Verbündeten die Wahl gewinnen würde. Umfragen zeigen, dass die wahrscheinlichsten Ergebnisse entweder eine Herausforderung von links sind, etwa von der derzeitigen Vizepräsidentin Cristina Kirchner, die die laue Haltung ihres eigenen Präsidenten gegenüber dem IWF und in außenpolitischen Fragen kritisiert hat. Oder aber eine Herausforderung vonseiten der konservativen Rechten durch Horacio Larreta.

Kirchners Regierungsflügel würde Argentiniens Bekenntnis zur Multipolarität vertiefen, im Einklang mit ihrer antiimperialistischen Ideologie und ihrer Erfolgsbilanz bei der Ablehnung des IWF. Sollten die Rechten jedoch an die Macht kommen, würden sie zu der sklavischen Pro-Washington-Politik von Ex-Präsident Mauricio Macri zurückkehren und sich wahrscheinlich aus der Bewerbung um die BRICS-Mitgliedschaft zurückziehen.

Ein noch extremeres, aber ebenso wahrscheinliches Szenario wäre ein Sieg des "libertären" Javier Milei. Milei ist eine Medienpersönlichkeit, die sich zum Kongressabgeordneten gewandelt hat. Er führt derzeit in den Umfragen mit rund 23 Prozent, verglichen mit 19 Prozent für die konservative Rechte und 17 Prozent für die Linke. Milei ist ein umstrittener Populist, der sich selbst als "libertär" bezeichnet und dessen wichtigster Vorschlag die Dollarisierung der argentinischen Wirtschaft ist. Das würde bedeuten, dass der US-Dollar zur Landeswährung aufstiege und der Peso abgeschafft würde. Damit wäre die Rolle Argentiniens beim Aufbau eines künftigen multipolaren Finanzsystems freilich endgültig beendet.

All dies sind Faktoren, die die BRICS-Länder bei der Diskussion über die argentinische Mitgliedschaft in diesem Block berücksichtigen müssen. Die derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen des Landes sind die Folge der neokolonialen internationalen Finanzdominanz der USA. Aber es bleibt abzuwarten, ob Argentinien Teil der Lösung sein kann.

Übersetzung aus dem Englischen. 

Oliver Vargas ist ein in Lateinamerika lebender Journalist, Mitbegründer von Kawsachun News und Moderator des Podcasts 'Latin America Review'.

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